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Die vorliegende Schallplatteneinspielung
vereint zwei Werke, die auf amüsante Weise Erscheinungen und Vorgänge
der Natur und der Tierwelt musikalisch wiedergeben. Immer wieder wurden
Komponisten zum Porträtieren in Tönen angeregt. Schon Ignaz Biber
und Antonio Vivaldi, Joseph Haydn in seiner "Schöpfung" oder Ludwig
van Beethoven in seiner 6. Sinfonie, der "Pastorale", haben solche Naturnachahmungen
mit ästhetischem Effekt realisiert. Sie zielen weniger auf das Wesen
musikalischer Aussage, regen jedoch die Phantasie durch außermusikalische
Assoziationen an.
Der Franzose Camille Saint-Saens,
Zeitgenosse von Georges Bizet, Charles Gounod, Cesar Franck und Claude
Debussy, galt als einer der geschmackvollsten musikalischen Stilisten seiner
Zeit. Seine Klanggestaltung ist weniger von Experimenten oder harmonischen
Kühnheiten geprägt als von durchsichtiger Klarheit und satztechnischem
Können. Aus seinem. umfänglichen Schaffen überlebte nur
wenig. Von seinen Opern wurde neben "Heinrich VIII." (nach Shakespeare)
nur "Samson und Dalila" bekannt (von Franz Liszt 1877 in Weimar uraufgeführt).
Kaum begegnet man im Konzertsaal einer der drei Sinfonien oder einem der
fünf Klavierkonzerte, ganz selten einem der drei Violinkonzerte, öfter
schon, wenigstens an den musikalischen Ausbildungsstätten, einem der
beiden Violoncellokonzerte. Populär aber wurde "Der Schwan" (schon
um die Jahrhundertwende getanzt als "Sterbender Schwan"), jenes Cellosolo
aus dem "Karneval der Tiere", einer "zoologischen Fantasie", die der Meister,
der auch als Klaviersolist, Organist und Dirigent reiste, auf einer Konzerttournee
im Februar 1886 in Österreich "zur Erholung" von " sinfonischer Arbeit"
(in der Zeit skizzierte er seine bedeutsame 3. Sinfonie für Orchester
und Orgel) niederschrieb. Diese "Grande Fantaisie zoologique", für
ein Fastnachtskonzert beim Cellisten Lebouc gedacht, war für zwei
Klaviere, Flöte, Klarinette, Xylophon, Harmonika und Streichquintett
arrangiert. Eine Aufführung im engen Kreise fand am 9. März 1886
statt. Einige Wochen später, am 2. April, wurde sie zu Ehren von Franz
Liszt, der kurz in Paris weilte, wiederholt. Die Veröffentlichung
des Werkes fand jedoch erst nach Saint-Saens Tode im Jahre 1922 statt.
" Le Carnaval des Animaux"
besteht aus einer Introduktion, 13 Tierporträts und einem zusammenfassenden
Finale. Charakteristische Züge in Haltung, Gangart und akustischer
Äußerung werden zur ( Inspiration für kleine Genrestücke.
Der Königsmarsch des Löwen" (1) bringt eben dem königlichen
Gang das schreckenauslösende Brüllen des Raubtiers zum Ausdruck.
"Hühner und Hähne" gackern und kikerikien lautmalerisch
im zweiten Satz. Die "Wilden Esel" rasen im "Presto arioso" über die
Klaviatur. Die "Schildkröten" (4) kriechen behäbig zu den
Klängen des verlangsamten "Orpheus"- Cancan Offenbachs, während
der "Elefant" (5) zu einem Kontrabaßsolo unter Benutzung von Berlioz'
"Tanz der
en Sylphiden" (!) aus "Fausts
Verdammung" tänzelnd voranschreitet. Die Pianisten
imitieren die Sprünge
der "Känguruhs" (6), Flötenkantilene und disparate Klavierarpeggien
das flimmernde Wasser des "Aquariums" (7). Eselschreie der Violinen prägen
die "Persönlichkeiten mit , den langen Ohren" (8), und der "Kuckuck"
(9) wird von der Klarinette dargestellt. Das "Vogelhaus" (10) gibt dem
Flötisten virtuose Möglichkeiten. In Nr. 11 (Die Pianisten) präsentieren
sich - die verbissen übenden Eichhörnchen und in Nr. 12 (Fossilien)
Themen bekannter Komponisten wie Mozart (Klaviervariationen über "Ah!
Vous dirai-je, maman?") und Rossini (Kavatine der Rosine aus dem "Barbier
von Sevilla"). Das Xylophon intoniert humorig das Thema des Saint-Saensschen
"Totentanz". "Der Schwan" für Violoncello und Klavier - ist die vorletzte
Nummer dieser "Zoologischen Fantasie", die im Finale rondohaft Zitate der
vorangehenden Sätze wieder aufklingen läßt, ein letztes
Rätseln in diesem witzig-humorvollen Werk.
Einer mehr methodischen Absicht
diente der sowjetische Komponist Sergej Prokofjew, der von Natalja Saz,
der Prinzipalin des gerade eröffneten "Zentralen Kindertheaters" in
Moskau, 1936 den Auftrag übernahm, eine Art musikalisches Märchen
zu schaffen, das Kinder zum aufmerksamen Hören animiert und ihnen
die Instrumente des Orchesters vorstellt. Bereits im gerade beendeten Shakespeare-Ballett
"Romeo und Julia" gelang Prokofjew die natürliche Verbindung von klar
umrissenen Charakteren mit der dramatischen Form eines Handlungsballetts.
Dort für Erwachsene - hier einfach und doch kunstgerecht für
das in seiner spontanen Reaktionsweise anspruchsvollste Publikum - für
Kinder.
Der Komponist selbst entwarf
den Text des Märchens: Es ist die Geschichte des Pioniers Peter,
eines großen Tierliebhabers (der kleine Vogel ist gar sein Freund!)
und aufmerksamen Tierbeobachters, der gegen den Willen seines poltrig besorgten
Großvaters seine Jagdleidenschaft entdeckt und den Wolf, den Feind
der schwachen Tiere (Ente, Katze, Vogel), einfängt. Die herbeieilenden
Jäger mit ihren Flinten können nichts weiter tun, als den von
Peter lebend gefangenen Wüterich in den Zoo zu bringen. Ein großer
Erfolg des Jungen, den auch der Großvater mit seinem "Na ja, aber
wenn . . ." nicht zu schmälern vermag.
Im Vorwort der Partitur vermerkt
Prokofjew, daß vor der Aufführung die Instrumente mit
ihren Leitmotiven vorgestellt werden sollen: "Der Vogel durch die Flöte,
die Ente durch die Oboe, die Katze durch das Staccato im tiefen Register
der Klarinette, der Großvater durch das Fagott, der Wolf durch drei
Hörner, Peter durch das Streichquartett die Gewehrschüsse durch
Pauke und große Trommel."
Aber nicht bloße Lautmalerei
herrscht vor, wie die Anlage des Märchens vermuten lassen könnte,
es werden vielmehr ausdrucksvolle und sich leicht einprägende Melodien,
Leitthemen, verwendet, die das ganze Werk mit einem Netz von Beziehungsfäden
versehen. Sie sind mit realistischer Treffsicherheit erfunden: sei es der
Vogel, der durch ein zwitschernd-tirilierendes Motiv gekennzeichnet ist
oder die Ente mit ihrem trägen, fast wehleidigen Gequake, sei es die
auf "Sammetpfoten schleichende" Katze, das furchterregende Grollen des
Wolfs oder die dargestellten Menschen: der freundliche, mutige Peter und
der griesgrämige alte Großvater, auf Pantoffeln einherschlürfend.
Diese Themen bestimmen leitmotivartig die Struktur der dreiteiligen Komposition
(A: Aufstellung der Themen, B: dramatische Durchführung, der
Kampf mit und um den Wolf, A': Triumphmarsch, Reprise der Themen). Sie
erleben verschiedene Verwandlungen, je nach der Situation, in die die handelnden
Person geraten. Mit genial einfachen Mitteln wird eine Stimmung anschaulich
eingefangen und sei es nur durch eine kleine Beigabe wie zum Beispiel einen
Triller zur Darstellung der vor Angst schlotternden Katze auf dem Baum,
um den der Wolf schleicht. An anderer Stelle wird das Herablassen des Seiles,
mit dem der Wolf gefangen werden soll und das sich sogar in den Ästen
des Baumes verfängt durch eine abwärts gleitende Tonleiter festgehalten.
Prokofjew arbeitete mit großer
Begeisterung an diesem Werk, das am 15. April 1936 in Klavierskizze und
am 24. April in Partitur vorlag. Die Aufführung erfolgte unter der
Leitung des Komponisten vor Kindern in der Moskauer Philharmonie am 2.
Mai 1936.
Friedbert Streller (1984) |