COVERTEXT
Peter Hacks über "Adam
und Eva"
An seiner Höflichkeit
zum Stoff erkennt man den Dichter. Nur sehr törichteAutoren glauben,
sie könnten ihren Stoff was lehren. Ein jeder Stoff hat seine Wahrheit,
welche von unerschöpflichem Reichtum, gleichzeitig aber von entschiedenster
Besonderheit und allein ihm selbst eigentümlich ist. Gibt man ihm
eine fremde zu halten, läßt er sie einfach fallen.
Der Verfasser schreibt dies
am 16. September 1972; am Vortag hat er die Arbeit an seiner Komödie
"Adam und Eva" beendet. Er weiß, wieviel er dem Stoff schuldig geblieben
ist. Aber er weiß auch, daß der größte Poet bei
dem geringsten Stoff Schulden haben wird, und er hat ein reines Gewissen
jedenfalls hinsichtlich seines Benehmens gegen seinen Kreditor. Er ist
ihm nicht ausgewichen. Er ist nicht mit ihm umgesprungen. Er hat ihm mit
äußerster Ehrerbietung in den Mantel geholfen.
Die Geschichte vom Sündenfall
steht in der Genesis. Der Verfasser hat nicht unternommen, auf den hinter
der biblischen Erzählung im Dunkel ruhenden Mythos zurückzugreifen;
übrigens sind es mehrere mythische Schichten, die da ruhen, matriarchalische
und patriarchalische, agrarische und nomadische. Jede zeigt sich an zufälligen
Stellen, keine ganz; die Stellen passen nicht zueinander.
Es macht keinen Reim, wenn
das Weib aus einem männlichen Knochen gebildhauert sein und andererseits
der Mann um ihretwillen den Clan verlassen soll. Es wird vollends widersinnig,
wenn einer namens Ackermann zum unerwarteten Schluß und strafweise
zum Ackerbau verdammt wird. Kurz, eine verbindliche Urform des Mythos ist
kaum wiederherstellbar. Vielleicht behandelte er die Erfindung des Beischlafs.
So läßt der Verfasser
ruhen, was ruhen will. Er folgt treulich dem Jahvisten und den Priestern,
und er `olgt den Kirchenvätern, die in der Sache gut Bescheid wußten.
Zum Beispiel berichtet Augustin, daß im Stande der Unschuld das männliche
Zeugungsglied dem Willen auf den Wink gehorchte; es tat und ließ,
was der Mann von ihm wollte, während seit dem Sündenfall der
Mann tut und läßt, was seinem Gtiede in den Kopf kommt. Dem
Einwand, daß bestimmte Körperteile dem Zugriff der Vernunft
doch entzogen seien, begegnet der Philosoph durch Anführung eines
Menschen, welcher mit dem After Melodien furzen konnte. Man wird sehen,
daß der Verfasser aus dieser Information einen seiner entscheidenden
Fabelpunkte gewonnen hat. Auch genauere Kenntnis der vor dieser Welt erschaffenen
Welten verdankt er dem Augustin.
Als unergiebige Ouelle ewiesen
sich die Scholastiker. Der Verfasser, dem, wie jedermann, die scholastische
Philosophie in seiner Ausbildung vorenthalten worden, hatte, bis zu diesem
Jahr, immer in einer gewissen Unruhe gelebt, ob er da nicht vielleicht
eines WesentIichen ermangele. Inzwischen hat er sich unterrichtet, und
er bittet nun alle, denen es ebenso geht, sich nicht zu beunruhigen.
Der Grund, warum es dem Verfasser
leicht fiel, die mythische Ebene zu vernachlässigen, liegt nicht so
sehr in der schweren Durchschaubarkeit des Mythos als vielmehr in der wirklichen
Verbesserung, die das Juden- und Christentum an dem Stoff geleistet hat.
In der Tat ist der Gott der Religion, mag er der blassere sein, in der
Umfassendheit seines Entwurfs mehr wert als der alte Stammeskönig
des Mythos, welcher dort recht eigentlich nur ein Entwicklungsgott. Die
ihm innewohnenden Widersprüche sind unendlich viel reizvoller als
dessen heilige Launen. Es wäre armselig, ihn zu leugnen, insonders
heute, wo die Christen in solchem Maße damit befaßt sind.
III Überhaupt ist es
eine Aufgabe der marxistischen Kunst, das Christentum vor den Christen
zu retten.
Man muß zugeben, daß
dem Christentum, mehr als anderen Religionen, ein Hang zur Verschämtheit
anhaftet. Es schielt nach dem Urteil der Vernunft wie eine Genante nach
dem Stadtklatsch. Es wird um so zimperlicher, je älter es wird, und
es bringt seinem Rufe die unglaublichsten Opfer.
Zuerst genierten sich die
Christen ihrer mythologischen und polytheistischen Herkunft. Wer zu jener
Zeit über Land ging, fand auf dem Dung die Madonnen liegen, welche
die Christen aus ihren Kirchen geworfen hatten. Das konnte den Künstlern
noch recht sein. Sie sammelten die alten Muttergöttinnen auf und stellten
sie zuhause in ihre Kunst- und Wunderkammern.
Seit neuestem indes finden
die Künstler, wenn sie an den Misthaufen vorüberwandern, auch
den HI. Geist, den Sohn, ja nicht selten den Vater. Die Christen selbst
haben sie fortgeworfen. Sie haben das Christentum verkleinert auf einen
Rest von Sätzen über Gerechtigkeit, Tugend und die Herstellung
einer würdigeren Welt, lauter Sachen, auf die sich, Gott ist des Verfassers
Zeuge, die Marxisten besser verstehen.
Natürlich leiden die
Christen unter der Schwierigkeit, daß, was sie glauben sollen, nicht
wahr ist. Aber das ist die Voraussetzung ihres Treibens; mit ihr sollten
sie sich, wenn sie weitermachen wollen, abtinden. Der gegenteilige Weg
führt ins Nichts. Sie versuchen, das Unwahre aus ihrer Lehre auszusondern:
eben mit dem Ergebnis, daß sie inzwischen dabei sind, das Christentum
aus dem Christentum auszusondern.
IV Soweit der Verfasser sich
da auskennt, geht die gegenwärtige Ketzerbewegung weiter als alle
bisherigen; die ganze Theologie heute ist, wenn nicht gleich atheistisch,
so jedenfalls arianisch. Das stimmt ihn unfroh. Ketzereien sind gemeinhin
theoretisch ärmer als die Lehre, welche sie bezweifeln.
Im Grunde hat jede Theorie,
die wert ist, Abweichungen zu erleiden, zwei Naturen: eine ewige und eine
zeitliche, eine drüben und eine hier. Wesentlich dieser Umstand ist
es, der die großen Religionen zu Denkanstrengungen zwingt. Die Ketzer,
seien sie fort- oder rückschrittlich, machen es sich immer leicht.
Sie anerkennen nur eine Seite der Sache. Der häretische Verstand ist
kaum faltenreich.
Das Christentum ist nicht
wahr in dem Sinne, daß, wovon es erzählt, geschehen oder, was
es denkt, verständig wäre. Die Wahrheit, die es hat, ist nur
dem zugänglich, der es nicht für wahr hält. Wer es nicht
glauben muß, kann es brauchen. So erklärt sich, daß die
Künstler, als sie Gott in seinem Jammer vor dem Gotteshause trafen,
nach - eingestanden - anfänglicher Verlegenheit gern bereit waren,
sich des schönen und durchsichtigen Greises anzunehmen.
Goethe ging ihnen auch hierin
voran; Vorbildlichkeit und Verdienst des "Faust II"-Finales können
nicht hoch genug gerühmt werden. Von ihm weiß die Menschheit,
daß die Religion von gestern die Kunst von heute ist.
Das Geschäft ist, wie
man so sagt, zum beiderseitigen Vorteil. Die Religion verdankt dem ästhetischen
Bewußtsein eine postmortale Bleibe; in ihm erst hat sie Unsterblichkeit.
Das ästhetische Bewußtsein verdankt der Religion, welche sich
bei Lebzeiten ja als Welterklärung verstand, ein gewichtiges Erbe
an poetisch schon aufbereiteter Realität. Keineswegs also hat der
Verfasser allein die aufhebenswerten Schönheiten des Christentums
im Sinn. Wovon er, ausdrücklich, zu reden vorhat, sind dessen aufhebenswerte
Erkenntnisse.
Natürlich sind die Einsichten
der mythischen oder mythisch gefärbten Dialektik von vorwissenschaftlicher
Art; hiermit ist nicht gesagt, daß sie sich erübrigt hätten.
Die W issenschaft weiß nicht alles. Und dort, wo sie weiß,
taugt sie noch längst nicht für die Kunst. Die anschauliche Weise
des Begreifens, welche nicht allein den Kopf, sondern auch die Haltungen
des Begreifenden verändert, erziehlt, wenn es ums praktische Urteilen
geht, sehr häufig das reichere und richtigere Ergebnis.
Die moderne Kunst bedient
sich wieder der großen Bilder. Große Bilder neu zu erfinden,
hat seine Schwierigkeit. Es entspricht nicht der Übungsrichtung unseres
Denkens, und es folgt nicht naturläufig aus unseren Verkehrstormen,
welche ja kaum mehr sinnfällig das menschliche Wesen unserer Eingerichtetheit
ausdrücken. Die moderne Kunst, folglich, bedient sich überkommener
Bilder, meist derer der Griechen. Aber die der Christen sind viel besser
erinnert. Leisten sie weniger?
Der Verfasser hat schon angedeutet,
daß er die Zweinaturenlehre für ein großes Bild ansieht:
ein Bild fürdie gegensätzliche Einheitvon Wesen und Erscheinung,
und er hat dieses Bild am Herakles, welcher, wie Jesus, zwei Naturen hatte,
in seiner Oper "Die Vögel" benutzt. An anderem Ort hat er dargelegt,
wie der Auferstehungsmythos, der Mythos vom Tod des Todes, als eine Metapherfür
das Gesetz von der Negation der Negation dramatisch benutzt worden. Er
beschränkt sich hier noch auf ein Beispiel, das nicht dem Mythos entstammt,
sondern der hellenistischen Philosophie: die Dialektik von Gnade und Verdienst.
Was bringt uns in den Himmel,
Gottes Güte oder die unserer Werke? Uber diesem Denkärgernis
werden die Christen nicht müde. Sie kommen nicht umhin, beide Hälften
der Fragestellung zu bejahen, obgleich die Alternative, wie man leicht
sieht, eine ausschließende ist. Die Ketzerwiederum, flink und simpel
wie stets, beantworten sie teils 50, t8115 SO.
Nun, auch der Marxist sollte
bei dem Gegenstand nicht gähnen. Er erkennt, meint der Verfasser,
in der heiligen Frage eine höchst weltliche: die nach der Dialektik
von Geschichte und Persönlichkeit. Was macht uns zu einem Erfolg,
die Gunst der Lage oder das Talent? Die logische Struktur ist die gleiche:
zwei ihrem Wesen nach grundverschiedene Gewalten haben teil an der Chance
ein und desselben Menschen, sich zu verwirklichen. Hier schweige Pelagius.
Plechanow hat das Wort, und keinesfalls das letzte.
VI Das große Bild vom
Sündenfall endlich war schon für Hegel das Beste am ganzen Christentum.
Es birst von Dialektik. Der Verfasser will einiges von dem zeigen, was
es zeigt. Er weiß wohl, daß große Bilder nicht dazu da
sind, gedeutet zu werden, aber schließlich hat er sich ja, bis gestern,
auf angemessenere Weise an ihm zu schaffen gemacht.
Es zeigt die Undenkbarkeit
eines vollkommenen Zustands. Ein vollkommener Zustand wä~ e mit Notwendigkeit
einer, der auch sein Gegenteil in sich enthielte; ein solcher aber würde
das Bedürfnis
haben, sich zu bewegen. Daher
gehört Bewegung zum Höheren zur Vollkommenheit; daher gehört
Unvollkommenheit zur Vollkommenheit. Eine vollkommene Bewegung geht zu
denken, nicht ein vollkommener Zustand. Das Paradies, sagt der Jahvist,
ist zu.
Es zeigt die Freiheit als
Entfremdung und aber auch die Entfremdung als Freiheit. Die Freiheit zum
Guten kann von der zum Bösen nicht getrennt werden; Freiheit ist die
Möglichkeit, einen Weltzustand um eines neueren willen zu verlassen,
und die Gerechtigkeit, die sie diesem widerfahren läßt, ist
zugleich die Ungerechtigkeit, die sie jenem antut. Haben Adam und Eva richtig
oder falsch gehandelt? Sie haben gehandelt. Ist Gott mit ihnen unzufrieden7
Es ist so schwer zu sagen; er schimpft, aber er macht ihnen Hosen.
Sobald wir, im Denken oder
Tun, in die wirkliche Welt eintreten, betreten wir das Reich, wo es dialektisch
hergeht. Die Paradiesgeschichte, dieses große Bild vom Anfang des
Menschen, ist vom Verfasser ausgelegt worden als das große komische
Bild vom Betreten der wirklichen Welt.
VII Der Stoff gehört
zu den allerreichsten, und er gehört zu den widerspenstigsten. Seine
Sprödigkeit rührt-das man das sagen mußl natürlich
nicht daher, daß er ziemlich weit zurückliegt. Es gibt frühere
Stoffe. Beispielsweise die Entstehung der Welt, welche höchst ergiebig
an mörderischen und erotischen Szenen und überhaupt sehr bühnenwirksam
ist.
Vielmehr steckt die Schwierigkeit
des Stoffes im Fehlen von Gesellschaftlichem. Die auftretenden Charaktere
sind kaum soziabel. Gott ist offensichtlich ein Eigenbrötler, die
Engel leiden an einer für den Dramatiker verhängnisvollen Reinheit,
und Adam und Eva verkörpern, vor dem Sündenfall, das pure Gattungswesen;
sie sind unvereinzelt, was für die Kunst nicht viel weniger besagt
als unvorhanden. Immerhin und allenfalls: Geschlechtswesen sind sie. Mulier
aliter facta; die Frau, gottlob, ist anders.
Grundsätzlich unerlaubt
ist, mythischen Charakteren mittels neuzeitlicher Psychologie aufzuhelfen.
Sie müssen sich, auch in moderner Darstellung, vornehmlich aus ihren
Handlungen erklären. Und wer handelt hier schon, insonders gegen wen?
Kurz, das Ganze war nicht einfach zu machen, und der Stoff ist, so häufig
er ausgeführt worden ist, nie mit Glück ausgeführt worden.
IAber der Verfasser hat den Lope nicht gelesen. Warum übersetzt denn
den keiner7)
Die überwältigende
Ausnahme bleibt Milton. Es ist bekannt, daß Milton die Geschichte
als Drama zu behandeln vorhatte, und daß eres unterließ, weil
jene der Selbsttäuschungen noch zu bedürftige Revolution, der
er anhing, dem Austragen ihrer Widersprüche vor der Offentlichkeit
der Schaubühne nicht hold war.
Der Verfasser, welcher das
Paradise Lost - von zwei oder fünf Artigkeits-Zitaten abgesehen -
nicht benutzt hat, versteht sein Paradise Lost And Regained als ein Hommage
für Milton. Sein und Miltons gemeinsam erstrebtes Ziel ist von dem
englischen Kollegen erklärt:
Ihr Lied,
Obgleich parteiisch, klang
so wunderschön,
Daß selbst die Hölle
staunt. |