Impressum/Disclaimer
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Litera
860 065 |
Vier
ergötzliche Geschichten
aus
dem Dekamerone
des
Messer Giovanni Boccaccio |
Gibt's
wieder!
siehe HIER
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Seite
1
Es lesen:
Rolf Ludwig
Die traurige Geschichte vom
Falken
Renate Thormelen
Die Geschichte von Frau Filippa,
die die Gesetzte der Männer beschämte
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Seite 2
Günther Haak
Die Geschichte vom schlauen
Massetto
(Der Nonnengärtner)
Wolf Kaiser
Die Geschichte von Alibech
und dem Einsiedler
Sprecherin: Elsa Grube-Deister |
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Schallplatteneinrichtung - Ursula Püchel
Regie - Renate Thormelen |
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COVERTEXT
Im Jahre 1348 wütet in
Florenz die Pest. Diese furchtbare Seuche hat die Gesetze menschlichen
Zusammenlebens aufgehoben. Jeder ist sich selbst der Nächste, und,
den Tod vor Augen, versuchen die Menschen vom Leben zu erraffen, was ihnen
in die Hände fällt. Da treffen in einer Kirche sieben junge Damen
und drei junge Herren auteinander, deren Angehörige entweder tot sind
oder sich nicht mehr um sie kümmern, und sie beschließen, sich
gemeinsam außerhalb der Stadt in Sicherheit zu bringen. Aus dieser
Situation gewinnt Giovonni Boccoccio die Rahmenerzählung seines Dekamerone,
in und mit der er von vornherein für die Freiheiten, die etwa vorkommen
möchten, Entgegenkommen in Anspruch nimmt. Aber wer hat in 600 Jahren
dem Dichter je ernsthaft gezürnt? Als er sich nach dem ersten Drittel
seines Buches an die Kritiker des Vorliegenden wendet, nennt er die, die
ihm in dieser Hinsicht gram sein könnten: "Fürwahr, nur wer die
Freuden und die Macht der Liebe nicht kennt und fühlt, wer euch -
die holden Frauen - nicht liebt noch wünscht geliebt zu werden, kann
mich tadeln." Solchen Tadel weist er mit dem Selbstbewußtsein eines
Mannes, der seine Sache gut gegründet weiß, ab: "Und wenig kümmert's
mich."
Zehn junge Leute erzählen
eine novella eine Neuigkeit. Was tut's, daß diese Novellen mitunter
so neu nicht waren, daß sie vielleicht schon die Gesta romanorum
oder andere Sammlungen beliebter Erzählstoffe enthalten hatten? Waren
sie doch neu in des Boccaccio eignem Zuschnitt, und sein Buch wurde ja
in der Zukunft ebenso eine Quelle für andere Dichter. Lessing entnahm
ihm die Ringparabel, mit der der weise Nathan dem Sultan Saladin antwortet,
als er gefragt ist,
welches die wahre Religion
sei.
Was aber erzählen sich
die zehn jungen Leute? Der Dichter sagt: "Die Geschichten wissen von süßen
und bitteren Liebesabenteuern und vielerlei wunderlichen Begebenheiten
aus alter und neuer Zeit."
Die Geschichten strotzen vor
Unwahrscheinlichkeiten, und manchmal zwinkert uns der Dichter selber zu,
daß wir nicht alles allzu wörtlich nehmen möchten, was
da zur Sprache kommt. Aber was zum Vergnügen der Zuhörer berichtet
wird, will auch etwas sagen - standhafte Liebe loben, Treue rühmen,
Großmut bewundern, Einfalt und Aberglauben verspotten -, und dafür
braucht es offensichtlich stärkere Belege als gewöhnlichen florentinischen
Alltag. Zwei Themen aber brechen immer durch, ganz gleich, was zu berichten
man sich vorgenommen hat. Das eine ist der Preis des menschlichen Kopfes,
das andere das Lob der Liebe.
Wer sich aus der Affäre
zu ziehen weiß, Wer einen Ausweg findet, wer witzig ist, listig,
schlagfertig, dem gehört die ganze Sympathie des Dichters. Der Nacken,
den die Kirche gebeugt hat, der ergeben und demütig gesenkte Blick
hat sich erhoben zu freiem Selbstbewußtsein; der menschliche Verstand
befreit sich aus den Fesseln der Religion.
Die Liebe mischt sich ins
Spiel, auch wenn ausdrücklich von etwas anderem die Rede sein soll.
Es gibt eine Geschichte, die
siebente des zweiten Tages,
die beinahe wie eine Fastenpredigt beginnt. Sie warnt vor verschiedenen
Wünschen, vor dem nach Reichtum, nach Macht, nach Schönheit,
und beginnt mit der Moral, "daß kein einziger solcher Wunsch von
uns Menschen mit ruhigem Gewissen gewählt werden kann, da keiner vor
den Schlägen des Schicksals sicher ist". Die Geschichte folgt, die
den Beweis antreten soll, der Akzent verschiebt sich, wir wissen gar nicht,
wie, sie verliert ihr Anliegen aus dem Auge und am SchluB der Geschichte
lesen wir plötzlich eine Moral zu einem ganz anderen Thema: "Geküßter
Mund an Schönheit nichts büßt ein, dem Monde gleich wird
stets der Reiz erneuert sein." Selbst bei einem, der Bösewicht, Betrüger
und gar Mörder genannt wird, wird nicht unterlassen, seine ansehnliche
Gestalt und seine Qualitäten im Bett bei den Frauen hervorzuheben.
Und hier nun ist nichts unwahrscheinlich
geschweige denn ungenau, nichts, wo die Sache selber und ihre Bedeutung
auch nur um Haaresbreite voneinander abwichen. Hier, in der Sphäre
der Liebe, nimmt der Realismus der europäischen Literatur seinen Ausgang.
Armselig ist ihre Ausdrucksfähigkeit für sinnliche Freuden im
Vergleich zu anderen Literaturen, doch einmal, als das Mittelalter gerade
überwunden wurde, hat sie im Florentinischen des Giovanni Boccaccio
eine Zunge gefunden.
Aber was wurde aus dieser
Gewandtheit, als dem Bürgertum schließlich die mittelalterliche
Prüderie besser zustatten kam als die heidnische Direktheit?
Zunächst aber hatte die
Sprache der Liebe ihre große Zeit. Noch der mittelalterlichen Fastenzeit,
nach der finsteren Verachtung der Fleischeslust durch die Kirche sprachen
sich die Sinne jubelnd aus, und ihr Jubel berannte die feudale Festung
der Religion. Die schöne, junge und noch unbelehrte Berberin Alibech,
die Heldin einer der berühmtesten Novellen Boccaccios, will an den
christlichen Gott glauben. Von den Christen hat sie gehört, daß
es süß sei, ihm zu dienen. Und sie findet die volle Wahrheit
dieser Worte, an denen keine Übertreibung war. Nur hatte der Dichter
christliche Fleischesabtötung und Asketismus unter der Hand und als
besserer Schöpfer der Welt genau in ihr Gegenteil verkehrt: Alibech
kommt zu ihrer Einsicht, weil sie und der junge Einsiedler das Naheliegende,
das Natürliche tun, nämlich die süßen Freuden der
Liebe zu genießen.
Boccaccio hat sein Buch den
Frauen gewidmet, deren Ghettodasein ihn dauert: "Darüber hinaus müssen
die Frauen, abhängig von den Wünschen, Geboten und Befehlen ihrer
Väter und Mütter, Brüder und Gatten die meiste Zeit in den
engen Grenzen ihrer geschlossenen Häuslichkeit verbringen, wo sie,
fast ohne Beschäftigung, gleichzeitig wollend und nicht wollend, sich
ihren Gefühlen hingeben, die gewiß nicht die fröhlichsten
sind." Junge Mädchen wurden in frühem Alter verheiratet, ohne
daß sie gefragt wurden. Der Dichter steht ihnen wie den Männern
das Recht auf die freie Wahl des Partners zu - so sind die zahlreichen
"Ehebrüche" im Dekamerone zu verstehen. Wenn sich Boccoccio zum Sprecher
der Frauen macht, stellt er sich einer weiteren wichtigen Position des
Mittelalters entgegen. In der christlichen Religion spielten Frauen keine
Rolle, sie waren gering geachtet, weil ihre Existenz zur Diesseitigkeit,
zum Realen statt zu himmlischer Entrückung drängte. In den Hexenprozessen,
die erst nach Boccaccios Zeit ihren Höhepunkt erreichten, wurden sie
als gründlich verdorben, als Teufelsbuhlerinnen und Erregerinnen von
Wollust verfolgt. - Aber von diesem frühen Versprechen auf die Emanzipation
der Frauen kam die ausgereifte bürgerliche Gesellschaft genauso ab
wie von der ehrlichen Lust an der Liebe.
Boccaccio, 1313-1375, geboren
in Certaldo oder Florenz, unehelicher Sohn eines Kaufmanns, wurde zunächst
dem gleichen Beruf, dann dem Studium der Rechte bestimmt. Er war jedoch
der Meinung, daß er Dichter werden müsse. Als er nach vergeblichen
Versuchen in den für ihn vorgesehenen Berufen endlich dieser Neigung
nachgehen konnte, da war ihm der Erfolg versagt: Er wollte Verse schreiben
und wurde niemals ein großer Poet. Aber unter dem Dreigestirn eines
großen Jahrhunderts, Dante, Petrarca, Boccaccio, war er der weltlichste,
der am weitesten in die Zukunft reichte. Er schrieb sein bestes Werk in
der Sprache des Alltags, in Prosa, und seine Prosa war Dichtkunst.
Ursula Püchel |
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