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Robert Louis Stevensons Romane
und Erzählungen sind weltbekannt geworden und unvergänglicher
Teil unseres Schatzes klassischer Abenteuerliteratur. "Die Schatzinsel"
insbesondere, "Das Flaschenteufelchen" und "Der seltsame Fall des Dr. Jekyll
und des Herrn Hyde" gehören zur Lieblingslektüre vieler Jugendlicher
und Erwachsener.
Die Abenteuerliteratur, so
weitverzweigt wir sie heute kennen, ist eigentlich erst im 19. Jahrhundert
entstanden. Das Interesse, vom außerordentlichen Geschehnis zu hören,
ebenso das Bestreben der Dichter und Schriftsteller, es darzustellen und
den Normen des Lebens zuzuordnen, ist natürlich bedeutend älter.
Wir finden das Abenteuer bereits an der Wiege der Literatur, in den großen
Dichtungen des Homer, die von phantastischen Irrfahrten und sagenhaften
Kämpfen berichten. Der Begriff Abenteuer ist aus dem Mittelalter überkommen:
"Aventiuren" erzählten die mittelhochdeutschen Versepen, in Aventiuren
sind sie unterteilt. Bis ins 17. Jahrhundert hinein wurden dann Ritterromane
verfaßt. Berichte, wie die Herren vom Adel auszogen, um Länder,
Schätze oder auch nur die Gunst schöner Frauen zu erringen. Nach
dem 30jährigen Kriege wird von Grimmelshausen das erste Abenteuerbuch
geschrieben, dessen Held aus dem Volke stammt: "Simplizissimus". Der englische
Schriftsteller Daniel Defoe gab mit seinem "Robinson Crusoe" (1719) dem
Abenteuerroman eine neue Richtung. Die Geschichte des jungen Seefahrers
Robinson, der schiffbrüchig auf eine einsame Insel geriet, dort 28
Jahre verbrachte und während all dieser Zeit sich als Mensch in seiner
Schöpferkraft beweist, die Insel dabei zu einem wohnlichen Orte macht,
hat Generationen von Lesern und immer wieder auch spätere Autoren
beeinflußt. Das 19. Jahrhundert brachte dann all das, was wir heute
unter dem Sammelbegriff Abenteuerliteratur verstehen: Die Kriminal- und
Detektivgeschichte, für die der amerikanische Schriftsteller Edgar
Allan Poe (1809-1849) das Vorbild gab; den abenteuerlichen Reiseroman,
dessen bedeutendster Vertreter unter deutschsprachigen Autoren Friedrich
Gerstäcker war; den wissenschaftlichutopischen Roman, begründet
durch den französischen Schriftsteller Jules Verne (1828-'1905). Die
Richtung jener Erzählungen und Romane, deren Handlungen in exotischen
Ländern spielten, erfuhr Bereicherung und Weiterentwicklung durch
das Werk Stevensons.
28jährig verfaßte
Robert Louis Stevenson sein erstes Buch - den Bericht von einer Bootsreise
durch Belgien und Frankreich unter dem Titel "Eine Inselreise". Die Familie,
alteingesessene Leuchtturmbauer in Edinburgh, sah mit Abwehr, daß
der junge Stevenson nach seinen Studien der Rechtswissenschaft sich anschickte,
das Schreiben zu seinem Beruf zu machen.
In den Beruf seiner Wahl,
den eines Autors essayistischer und erzählender Literatur, brachte
Stevenson die Gabe des Fabulierens und Erzählens mit, doch auch eine
feste Meinung von der Notwendigkeit einer hohen "Moralität des schriftstellerischen
Berufs", die insbesondere einen lauteren Sinn und den Tatsachen gegenüber
Wahrhaftigkeit
erforderte. Diesen Maximen
treu hat er sich seinen anerkannten Platz in der Weltliteratur erobert.
Für sein literarisches
Schaffen bezog Stevenson wohl hier und dort Anregungen aus dem Werk anderer
Autoren, Anregung war ihm vor allem aber immer wieder die eigene Erfahrung,
das eigene Erleben. Er ist viel gereist, auf unruhvoller Suche nach günstigen
Bedingungen zur Heilung oder doch Linderung seines Lungenleidens. Auf See,
in Nordamerika, in Frankreich und anderen Ländern Europas, schließlich
in der Inselwelt des Pazifik begegnete er Menschen verschiedenster Art,
und sie alle brachten ihre Geschichte mit. Stevensons Zeit war jener, in
der Defoe seinen "Robinson Crusoe" schrieb, ganz und gar unähnlich
geworden. Das Bürgertum, damals noch progressiv, hatte als herrschende
Klasse sein Wesen von grundauf geändert. Längst waren die menschheitsbewegenden
Ideale der eigenen Frühzeit, die den Führungsanspruch begründeten,
über Bord geworfen und der Jagd nach höchstem Profit geopfert.
Nun war alles Objekt der Ausbeutung und käuflich geworden, auch die
ethischen Werte, der Mensch selber. Diesen Erscheinungen stand Stevenson
tief beunruhigt, kritikbereit gegenüber.
Stevensons erstem Buch, der
"Inselreise", waren zwei Essaybände gefolgt, danach die Romane und
Erzählungen, die seinen Weltruhm begründeten - voran "Die Schatzinsel".
Von 1890 an lebte Stevenson bis zu seinem Tode (1894) auf der Samoa-Insel
Upolu. In rastlosem, diszipliniertem Schaffen, brachte diese Zeit noch
einmal Werke von hoher erzählerischer Kultur, unter ihnen die Novelle
"Der Flaschenteufel". Der Teufel,
der Geist in der Flasche,
ist aus den Märchen und Sagen vieler Literaturen bekannt. Stevensons
Teufel findet man nicht, man erhält ihn auch nicht geschenkt: Man
kauft ihn. Und er verleiht alles, was nur durch viel Geld möglich
wurde: Macht, Ruhm, Wohlstand, Reichtum, aber auch Glück, Zufriedenheit.
Wer hätte da widerstehen können wer sich abhalten lassen durch
die Drohung, daß nämlich der, welcher den Flaschenteufel besitzt
und darüber stirbt, ewig im Höllenfeuer brennen soll. Es war
ja niemand gezwungen, die Flasche lange zu behalten.
Dennoch - für Keawe,
den Held unserer Erzählung, Keawe, den jungen, arglosen Mann von der
Insel Hawaii, wird sie das Schicksal. Wir lernen ihn kennen, "arm, rechtschaffen
und unternehmungslustig; er konnte lesen und schreiben wie ein
Schulmeister und war dabei
ein erstklassiger Seemann. Eine Zeitlang fuhr er auf einem der Inseldampfer,
dann steuerte er einen Walfischfänger an der Küste von Hamakua.
Schließlich kam es Keawe in den Kopf, sich die weite Welt und fremde
Städte anzusehen, und so ließ er sich auf einem Dampfer anheuern,
der nach San Franzisko fuhr". Hier ist die Reise jedoch schon zu Ende;
auf seinem ersten Landgong gerät Keawe an den Flaschenteufel. Abwartend-neugierig
probiert er ihn aus, und tatsächlich, er kann, was man ihm erzählte.
Keawe wird wohlhabend und bleibt doch bescheiden; so scheint alles gut,
als das Glück zu ihm kommt, als er erfährt, daß Kokua,
die Schöne und Kluge, ihn liebt.
Es ist diese Liebe, die die
Novelle innig und anrührend macht. Man kann sich ihr nicht entziehen,
wir durchleben sie mit, in Spannung und teilnehmendem Mitleid: Wird die
Liebe standhalten, wird sie das Leben Keawes und Kokuas reich machen oder
verbittern, wird sie den Fluch der Flasche besiegen? - Am Ende löst
Stevenson die Verstrickung mit glänzendem Kunstgriff; ein Zufall,
wie er so oft im Leben spielt, nimmt alle Schwere von Keawe und Kokua,
seiner Frau. Uns bleibt aber eine Nachdenklichkeit, und es bleibt ein starkfarbiges
Bild von tiefer Liebe, die die Probe bestand, die in der Bewährung
nicht zerbrach.
Alice Uszkoreit (1970) |