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Lieber Tom !
Da staunste, was? Das hättste
nicht von mir gedacht, daß ich mal ganz freiwillig einen Brief an
Dich schreib? Ich hab mirs auch nicht träumen lassen. Aber seit Du
weg bist von hier, hamses beinahe geschafft, mich zu 'nem anständigen
Menschen zu machen. Anfangs bin ich ja noch 'n paar mal ausgekratzt, aber
ohne Dich machts keinen Spaß mehr. Und so wohn ich jetzt in 'nem
Haus und schlaf in 'nem richtigen Bett, und das Hemd und die Hose, die
ich anhab, sind auch ganz sauber. Kurz, ich führ mich ordentlich auf.
(Was nicht ganz leicht ist, wie Du zugeben wirst.) In die Schule braucht
ich aber nicht mehr zu gehn. Sie haben eingesehn, daß meine Beine
zu lang geworden sind, um sie noch unter die Bank zu kriegen. Aber lernen
mußt ich. Das wollt der Richter Thatcher so. Zuerst hab ichs ja nicht
einsehn wollen, aber allmählich merkt ich, daß ichs aushalten
würde. Manchmal macht mirs sogar schon Spaß. Und was glaubste:
Ich les jetzt schon eine ganze Seite ohne steckenzubleiben und schreib
so, daß ichs nachher selber lesen kann. Das Einmaleins weiß
ich sogar schon weiter als sechs mal sieben ist fünfunddreißig.
Aber aus Mathematik mach ich mir noch immer nichts.
Denkste eigentlich manchmal
noch an mich? Neulich war ich bei Jim. Da haben wir von den alten Zeiten
gesprochen und von Dir. Ich mußt so lachen, als wir daran dachten,
wie wir beide, Du und ich, Jim befreit haben. Gott, war das lustig, wie
all die Tiere nach Jims Musik losschwärmten und um ihn rumtanzten!
Weißtes noch? Und wie wir an Onkel Silas die annunühmen Briefe
geschrieben haben ! Ich hab noch nie 'ne Familie gesehn, die so aufgeregt
war wie die Phelps. Dann haben wir an unsre Fahrt mit dem Floß gedacht
und an den letzten König von Frankreich und den Herzog Bridgewater,
die beiden Halunken. Und auch an die Mary Jane hab ich denken müssen.
(Vielleicht haste sie schon mal getroffen? Sie hat rote Haare und wohnt
in Sheffield in England.) Gott, war das damals 'ne Aufregung mit dem Geld
von dem verstorbenen Peter Wilks!
Wie wir nun so dasaßen
und erzählten, da meinte Jim auf einmal, ich würd ziemlich viel
flunkern. Ich hab noch niemand gesehn, der nicht ab und zu mal gelogen
hat, außer Tante Polly - Deine Tante Polly mein ich - oder der Witwe
Douglas oder Mary Jane. Verstehste, daß es mich da wurmt, wenn einem
'n paar Flunkereien vorgehalten werden?
Und wie ich so vor mich hinbrüte,
da kommt mir plötzlich eine Idee. Wegen der schreib ich Dir, denn
vielleicht kannste mir helfen.
Weißte, was 'n Phonograph
ist?
Ich weiß es allerdings
auch nicht ganz genau, aber ich hab gehört, daß das 'n Ding
ist, dem man was erzählen kann, und das Ding, es heißt wie gesagt
Phonograph, erzählt es einem dann ganz genau Wort für Wort noch
einmal. Der Mann, der es erfunden hat, ist ein Landsmann von uns und soll
Edison oder so ähnlich heißen. Vielleicht isses auch bloß
'ne Flunkerei, was sehr schade wäre. Nun zu meiner Idee. Wie wärs,
wenn wir den Mann mit seinem Phonographen mal besuchten. Du müßtest
bloß rauskriegen, obs stimmt mit seiner Erfindung und wo er wohnt.
Wir gehn dann zu ihm hin und sagen ihm, daß wir was Wichtiges für
seinen Phonographen zum Wiedererzählen haben, und dann erzählen
wir dem Ding alle unsere Abenteuer und nehmen es mit zu uns nach Haus.
Wenn Jim dann noch mal behauptet, daß ich flunkere, dann lassen wir
einfach den Phonographen reden, und wenn der flunkert, dann können
wir ja nichts dafür. Nun, was meinste dazu?
Mehr hab ich nicht zu schreiben,
und ich bin auch sehr froh darüber. Denn wenn ich gewußt hätt,
was es für 'ne Mühe macht, 'n Brief zu schreiben, dann hätt
ich so was gar nicht erst angefangen.
Ich wills auch sobald nicht
wieder tun.
Viele Grüße von
Deinem
Huck Finn
P. S. Alle lassen herzlich
grüßen. Besonders Richter Thatcher, Jim, Tante Polly, Sid und
der Mississippi.
Nochmal P. S. Erkundige Dich
unbedingt wegen des Phonographs und schreib mir bald ! ! ! Ich kanns ja
selber lesen.
Dein Huck |