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Die durch "Max und Moritz",
"Antonius" und "Helene" gewonnene Popularität hatte Busch 18?4 ermutigt.
mit seinem Gedichtband "Kritik des Herzens" einmal aus der Kulisse seines
"Papiertheaters" hervorzutreten, und den lieben Mitbürgern ihre moralischen
Unzulänglichkeiten unmittelbar und freimütiger als sonst anzukreiden.
Das lautstarke Echo spießerhafter Entrüstung auf diese direkte
Kritik mag den Künstler tiefer getroffen haben, als er sich anmerken
ließ. Hier ist wohl einer der Gründe dafür zu suchen, daß
Busch mehr und mehr der "Einsiedler von Wiedensahl" wurde.
Busch trat wieder ganz hinter
seine Gestalten zurück. Erst dreißig Jahre später versuchte
er mit "Zu guter Letzt" die "Kritik des Herzens" fortzusetzen. Im "Knopp"
gab er seinem Leser den Helden, den er haben wollte. Man konnte sich so
schön behaglich über ihn erheben! Dieser Held aber ist der Prototyp
des saturierten Biedermannes. Ihn, der sozusagen seinen Bauchnabel als
Mittelpunkt der Welt ansieht, läßt Busch unbefangen sich selbst
schildern. Er nimmt Spießers Weltgefühl und Geltungsstreben
scheinbar ganz ernst, widmet beispielsweise einer Spießerträne
ein ganzes Bild und verspottet den gutsituierten Bürger - freilich
ohne daß er es merkt.
Busch hatte auch hier seinem
Publikum wieder zu viel zugemutet. (Oder schrieb er schon über dieses
Publikum hinweg?) Man nahm jedenfalls alles, was der beliebte "Spaßmacher"
mit Griffel und Stift produzierte, für blanke Heiterkeit und amüsierte
sich köstlich auch über das, was im Grunde bittere Ironie war.
Busch war "philisterhafte Geselligkeit" und jede sinnlos vertane Stunde
ein Greul. Eben dadurch, das er uns den nutzlos verbrachten Tag Tobias
Knopps mit minutiöser Genauigkeit vor Augen führt, stellt er
die Frage nach der Existenzberechtigung des saturierten Spießers.
Neben dem problematischen
Haupthelden steht das ebenso problematische bürgerliche Familienleben
im Mittelpunkt der Betrachtung. Im ersten Teil, den "Abenteuern eines Junggesellen",
umkreist Busch das Thema der bürgerlichen Ehe sozusagen von weitem.
Da Knopp seine Freunde unverhofft besucht, gibt er ihnen keine Möglichkeit,
ein nichtvorhandenes Idyll vorzutäuschen. Er überrascht sie beim
Alltag. Der Windhund Mücke nutzt den Freundesbesuch als willkommene
Gelegenheit, sich im"Blauen Aal" ("Mücke scheint da nicht fremd")
auf billige Weise mit der Kellnerin zu vergnügen) Als Pendant zu Mücke
mutet der Jugendfreund Babbelmannan, der, einst der Lustigste von allen,
zum frommen Pantoffelhelden geworden ist. Knopp selbst scheint ein spätes
Glück zu blühen. als ihn Freund Piepo unverzüglich mit seiner
langen, schlanken, schon etwas ältlichen Tochter Klotilde allein läßt.
Um endlich unter eine gut gefütterte Haube zu kommen, reicht sie ihrem
grotesken männlichen Gegenstück prompt eine Rose - das Symbol
leidenschaftlicher Liebe, das sich unter
den Aspekten der bürgerlichen
Vernunftehe komisch genug ausnimmt und vom Künstler entsprechend strapaziert
wird . . . . Knopp entblättert sich wie jene Rose, womit denn die
ganze Fragwürdigkeit dieses "Liebesidylls" symbolisiert wird. Den
Gipfel der Herzlosigkeit in den menschlichen Beziehungen zeigt die Szene
mit dem Gemütsmenschen Sauerbrot, vom Künstler bewußt naiv
und harmlos vorgespielt. "Knopp vermeidet diesen Ort" ist die bezeichnende
Schlußfolgerung nach jedem Abenteuer. Er begibt sich weiter fort
- wohin? In die Einsiedelei? - Am Beispiel des unsauberen Eremiten Krökel
wird angedeutet, daß die Schopenhauersche Askeseforderung nicht Ausweg,
sondern Utopie ist. Loslösung aus der menschlichen Gesellschaft führt
nicht zu innerer Vollkommenheit, sondern höchstens zu äußerer
Verkommenheit.
Das Dilemma der Vereinzelung,
dem Knopp zu entrinnen sucht. scheint allgemein zu sein. Was soll man machen?
Man behilft sich. so gut man kann. Reumütig kehrt der "Welteroberer"
in die heimischen vier Wände zurück. Der Anblick seiner guten
Dorothee verspricht Hafen und Halt in den Stürmen des Daseins.
Sind die "Abenteuer" sozusagen
Momentbilder aus dem bürgerlichen Familienleben, so wird in "Herr
und Frau Knopp" die Ehe genauer beleuchtet.
Das Bild, das am Beginn von
Knopps Ehefreuden steht, ist ebensowenig glückverheißend wie
das, mit dem die Junggesellenzeit eingeleitet wird. Während dort der
hilflose Hagestolz hinter dem Wagen Amors einhergeschleift wird, ist hier
der Familienvater vor das Joch des Ehekarrens gespannt. Scheuklappenbehafted,
die Frackschöße zum Schweif zusammengedreht, schleppt er Frau
und Kind mühselig hinter sich her.
Der gehoben-pathetische Tonfall
bei der Charakterisierung der bürgerlichen Ehe
"O wie lieblich, o wie schicklich,
sozusagen herzerquicklich.."
kennzeichnet deren Tristheit
ebenso wie die später gebrauchte Wendung vom täglichen, stündlichen
und minütlichen Beisammensein. Und wieder ist es das gestelzte Versmaß,
das die Hohlheit der spießbürgerlichen Ehe glossiert:
"Ein schönes Beispiel,
daß obiges wahr
bieten Herr und Frau Knopp
uns dar."
Wohlgenährte und dressierte
Lebewesen werden uns vorgeführt, die sich an den plattesten Alltäglichkeiten
zu ergötzen pflegen und nicht die geringsten geistigen Ansprüche
stellen. Knopp teilt seinen Tag nach Mahlzeiten ein, wie denn Nahrungsaufnahme
und Fortpflanzung die einzigen Triebkräfte seines Lebens sind.
"Schnell flieht der Morgen"
(eines nutzlos verbrachten Spießertages). - "Unterdessen bereitet
man das Mittagessen."
Man hört förmlich,
wie Knopp sein Pfannekuchen schmeckt. Der Zeichner hat ihm zur besseren
Charakterisierung (unter zweckentsprechender Verwendung der Serviettenzipfel)
ein Paar Schweineohren "angedichtet".
Wenn das Essen einmal nicht
geraten ist, verliert Knopp sein seelisches Gleichgewicht. Aber auch die
"Madam" zeigt sich bei ehelichen Auseinandersetzungen nicht eben von der
besten Seite. An den unliebsamen kleinen Erlebnissen des betrunken heimkehrenden
Knopp demonstriert der Künstler einmal dessen Hilflosigkeit, zum anderen
zeigt er deutlich, daß hinter der "Tücke des Objekts" die Unzulänglichkeiten
des Subjekts zu suchen sind.
Im dritten Teil der "Knoppiade"
rundet Busch das Bild bürgerlichen Liebeslebens ab. Nach dem emsigen
Brautwerber und dem braven Ehemann wird die Frucht der Knoppschen Bemühungen
das alsbald umworbene Julchen vorgeführt.
Die einleitende Zeichnung
scheint hier zunächst eine freundliche Perspektive zu eröffnen.
Buschs Spott richtet sich nie gegen das hilflose. urwecbildete Kind. Indessen
kann Julchen als Sproß ihrer Eltem natürlich nur die vorgeschriebene
gutbürgediche Entwicklung nehmen. Ihre Streiche geben dem Zeichner
Gelegenheit den wohlgeordneten Haushalt zuverwirren. Auf die Kindheit folgt
in der Geschichte recht schnell das Stadium der Heiratsfähigkeit,
womit die Berufung der halbwegs "höheren Tochter" offenbar wird, eine
möglichst gute Parde zu machen.
Die zu Besuch kommende Tante
- herzlich geküßt weil sehr vemögend - versinnbildlicht
mit der aufdringlichen Symmetrie ihres Porträts altjüngferliche
Hyper-Akkura-tesse. Als sich nach manchem Hin und Her die Liebenden endlich
kriegen können, wird in gleicher Weise mit Hilfe der Symmetrieachse,
die Mond, Tante und Dackel bilden, die albumhaft "rührende Familienszene"
vor dem Gartenhaus ins Kitschige verzerrt.
Daß viele Leser dernnoch
aus solchen und ähnlichen Bildern ein ldyll zusammenreimten; ist nicht
so sehr Buschs Verschulden. Zu seiner Ehrenrettung sei schließlich
bemerkt, daß er von Ehe "wenn alles ehrlich zugeht, sehr hoch" dachte.
Was Knopp betrifft, so hat
er mit der Verheiratung Jul-chens seinen "Lebenzweck" erfüllt
(.: . . . . . und so wuchert
die Geschichte sichtbarlich von Ort zu Ort . . . . ").
Er erleidet - wie zur Strafe
für seine lebensfeindliche Untätigkeit - einen ziemlich jähen
Tod. Seinen Grabstein könnten die sattsam bekannten Worte zieren:
Er ward geboren, nahm ein Weib und starb.
In seiner Würdigung zum
100. Geburtstag Wilhelm Buschs schrieb der "Vorwärts":
" . . Wie ist es nur möglich
(fragen wir uns 1932), daß man sich vor 50 Jahren in den Knopp und
Mickefett . . . . nicht erkannt hat? Kann es einen blankeren Spiegel geben?"
Man erkannte und erkennt sich
nicht, wenngleich die imaginäre Zipfelmütze des deutschen Spießers
aus Buschs Geschichten bis in unsere deutsche Gegenwart weist . . .
Wolfgang Teichmann |