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Allein der Titel sagt es:
Die Gerechten folgten dem berühmten Bestseller-Beispiel, fünf
Jahre später zwar, doch mit vollstöndigem Figurenensemble und
vertrauter landschaftlicher Kulisse: Der naiv-kluge Martin Grambauer ein
Abbild wohl des jungen Ehm Welk -, der ewig hungrige Nachtwächterenkel
Johannes Bärensprung, Krischan Klammbüdel, liebenswerter Hirte
für junge Menschen und Tiere, Superintendent Sanftleben, Pastor Breithaupt,
der geistliche Herr und schließlich Kantor Kannegießer und
Vater Grambauer: freundlich weise der eine, atheistischer Dorfphilosoph
der andere, sie alle Gestalten aus den "Heiden von Kummerow", Millionen
von Lesern wohl bekannt. Sie agieren wiederum vor dem derweil historisch
gewordenen Hintergrund eines norddeutschen Dorfes vor dem ersten Weltkrieg,
wo sich im Bewußtsein der Menschen trotz aller Verdikte avs der Kirche
und aus dem Schloß die Überlieferungen der heidnischen Ahnen
erhalten haben, so daß die Kinder in ihrem Paradies Scheinsiege davontragen:
so etwa, wenn ein Junge, Bärensprung nämlich, aus dem Armenhaus
bei der Heidentaufe - einem wagemutigen Wettstehen im frühlingskalten
Mühlbach - König wird, ohne daß sich eine Königin
findet, oder wenn der heimatlose Kuhhirte und phantasiebegabte Schnurrenerzähler
Krischan vor obrigkeitlichen Übergriffen beschützt werden soll.
Kummerow hinter dem Bruch, eine in der deutschen Literatur spezifische
und unverwechselbare poetische Landschaft, von dem Dichter Ehm Welk gefertigt
aus Erlebnis und Erinnerung. Dennoch: wie in allen Büchern Welks wird
keinem zeronnenen Traum nachgegangen. Vielmehr variiert er sein Thema.
Obwohl von kleinlicher Mißgunst
umgeben, in Jahrhunderten von Nachbarn und guten Freunden geschürt,
begrenzt und zugleich diskreditiert von herkömmlicher Gewohnheit,
das sind die Heiden von Kummerow, die unbequemen Frager nach dem Warum
in der Welt. Und wenn Ehm Welk an einer Stelle seines Buches sagt, es sei
wahrlich nicht so, daß die Gerechten nun die gleichen wären
wie die Heiden, dann auch deshalb, weil ihr Wissen von den Kräften,
welche den Gang der Welt bestimmten, sehr unzulänglich war. Insofern
neigt Ehm Welk zu jener Theorie, die da sagt, objektive Maßstäbe
liefere die Zeit, und wer das Gestern und Vorgestern vergleiche, neige
weniger zu Überschätzung. So und nicht anders sind die seltsamen
Anschauungen des Gottlieb Grambauer zu verstehen, der da meint, wer für
die Armen stiehlt, tut nichts Böses. Damit entschuldigt er nicht nur
den Armenhausjungen Johannes Bärensprung, sondern auch sich selbst.
Von dort her wird auch verständlich, daß Pastor Breithaupt und
Junker Runkelfritz trotz anmaßenden Auftretens zur Einflußlosigkeit
verurteilt sind. Religiöse und gesellschaftliche Ketzerei, Heidentum
und Gerechtigkeit gehören eben zusammen. Und Kummerows Dorfjugend
hütet das Prinzip der Gerechtigkeit. Bei den Kindern wiegen Intelligenz
und Mut schwerer als Besitz und Herkommen. So werden alle Vorgänge
von menschlicher Güte geprägt, nicht nur die großen heiteren
Partien, sondern auch die dunklen Teile; lächelndes Verständnis
für die scheinbar unabwendbaren Gegebenheiten. Wichtiges davon bringt
diese Schallplatte: Vaterschaft und der schönste Monat des Jahres,
die Austköst im mit Girlanden und Kränzen geschmückten Malzkeller,
das auf Leben und Tod gehende Kartoffel-Duell bis zur Kampfunfähigkeit,
ein Kinderchor mit "Kommt ein Vogel geflogen" zu Pastor Breithaupts Geburtstag
und endlich Gottlieb Grambauers eigenwillige Darstellung von der linken
Hand, die nicht wissen darf, was die rechte tut.
Ehm Welk hat einmal viel später,
in unseren Tagen, davon gesprochen, daß er die Kummerows schrieb
als eine Art individuellen Protests gegen Ungemach, Niedertracht und Sorge,
als eine scheinbare Übermacht die Gegenwart zu zerrütten und
Zukunft zu verstellen drohte. Und er sagte: "Ich ließ die Unzulänglichkeiten
stehen und ging den Weg zurück ins Land meiner Kindheit." Verständlich,
denn die "Gerechten von Kummerow" wurden 1942/43 geschrieben. Welk, am
29. August 1884 in diesem Land seiner Kindheit geboren, im uckermärkischen
Dorf Biesenbrow, kannte Landschaft und Menschen. Deshalb war es nicht anders
denkbar, daß sich Autobiographisches mit Kritischem vermischte. Ehm
Welk, ab 1928 Chefredakteur der "Grünen Post", damals Deutschlands
auflagenstärkstes Wochenblatt, kritisierte 1934 öffentlich den
Faschismus: Er wird verhaftet und ins Konzentrationslager Oranienburg gebracht.
Proteste ausländischer Journalisten führen seine Entlassung herbei,
doch striktes Schreibverbot ist die Folge. Jahre später gestattet
man ihm das Schreiben belletristischer Bücher. So entstehen die "Kummerows".
Als Protest.
Als Möglichkeit.
Und wenn Sie auf dieser Schallplatte
noch einmal die Stimme Ehm Welks hören können, der Journalist,
Stückeschreiber und Erzähler starb am 19. Dezember 1966 im 83.
Lebensjahr, dann ist dies nicht nur eine neue persönliche Begegnung
mit dem Dichter, vielmehr hören Sie auf diesem inzwischen historisch
gewordenen Dokument sein literarisches und menschliches Bekenntnis, das
da lautet: Im Ungemach hat er sein Herz befragt und ein Echo vernommen.
Das Paradies der Menschen hat immer nur dort gelegen, woher der unzerstörbare
Zauber weht, der stark genug ist, die Hoffnung auf ein besseres Morgen
zu erhalten und das Leben bis an sein Ende zu beglänzen, also an den
Stätten, wo unser Herz jung war. Mit dieser Hoffnung schrieb er "Die
Heiden von Kummerow", damals ein Anfang für ihn. Die Gerechten folgten.
Konrad Reich |