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Alt und jung, Tausende und
aber Tausende haben gelesen und lesen immer erneut die "Wunderbaren Reisen
und lustigen Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen". Er hat wirklich
gelebt, der Junker Baron Hieronimus Carl-Friedrich von Münchhausen,
das ist keine Mär. Von 1720 bis 1797. Und er hat auch wirklich als
Soldat in Rußland gedient und wahrscheinlich auch am Türkenkrieg
teilgenommen. Hieronimus von Münchhausen war ein leidenschaftlicher
Jäger, und er lud sehr gerne Freunde zu Gast in sein Haus, um mit
ihnen bei ein, zwei Flaschen Wein oder einem Glas Punsch zu plaudern und
ihnen allerlei Schnurren und Abenteuer zu erzählen. Die Geschichten,
die der Baron erzählt hat, dürfte er zum größten Teil
nicht selber erfunden haben. Die meisten waren bereits aufgeschrieben:
in Schwanksammlungen, in überlieferten Texten aus der griechisch-römischen
Antike, in walisischen Prosaromanen des 13. Jahrhunderts, in Heiligenlegenden
und natürlich vor allem in den Märchen. Aber der Baron hat seine
Geschichten gewiß nicht us den alten Büchern geholt. Dazumal
wurden die Märchen und Geschichten, obwohl manchmal bereits aufgeschrieben,
von Mund zu Mund überliefert, ohne daß jemand nach ihrem Ursprung
gefragt hätte.
Von Münchhausen wird
berichtet, er habe am abendlichen Kaminfeuer Großmäuler und
Möchtegerne, die faustdicke Lügen als Wahrheit auszugeben versuchten,
durch sein lebhaftes Erzählen und seine fantasiereichen Lügengeschichten
spöttisch übertrumpft und parodiert und sie dadurch ob ihres
Prahlens und Aufschneidens zum Schweigen gebracht oder, weil seine
Gäste bei seinen Erzählungen schallend gelacht hatten, die Prahlhänse
zum Mitlachen bewegt, daß sie zu guter Letzt, ohne sich gekränkt
zu fühlen, ihr Angeben und Flunkern eingestanden.
Baron von Münchhausen
hat die Geschichten nicht selber aufgeschrieben. Einer seiner Gäste,
wir werden nie erfahren, wer es war, hat 1781 in dem Berliner Anekdoten-
und Witzblatt "Vade Mecum für lustige Leute" Münchhausens Schnurren
und Lügen veröffentlicht. Sie kamen 1785 einem Mann namens Rudolf
Erich Raspe in die Hände. Er nahm die Geschichten aus dem Witzblatt,
gab ein paar Geschichten aus verschiedenen alten Büchern hinzu und
veröffentlichte das Büchlein in England. Raspe verfolgte mit
seinem "Münchhausen" die Absicht, Lügner und Prahlhälse,
ja sogar gewisse Schreier im englischen Parlament auf ironische Weise zur
Wahrheit zu erziehen. Nun ist zu bezweifeln, ob ihm das gelungen ist.
Das Buch kam dem deutschen
Dichter Gottfried August Bürger vor die Augen, der es sofort ins Deutsche
übertrug, wobei er mit dem englischen Text recht frei umsprang, manche
satirische Anspielung auf deutsche Verhältnisse einfließen ließ,
die Sammlung um acht Geschichten erweiterte, die er ebenfalls alten Schriften
entnahm und nachdichtete und das Buch unter dem Titel "Wunderbare Reisen
des Freiherrn von Münchhausen", ohne seinen Namen zu nennen, herausgab.
Daß Gottfried August Bürger der Übersetzer und Nachdichter
war, wurde erst nach seinem Tode bekannt. Bürger hat unter anderem
nachweisbar Episoden aus dem von Christian Reuter geschriebenen Buch "Schellmuffsky,
Kuriose und sehr gefährliche Reisebeschreibungen zu Wasser und zu
Lande", das 1692 erschien, verwendet. Aber während Christian Reuter
den großmäuligen Spießbürger verewigt, der dem Adel
gleich sein möchte und, um seine Armseligkeit zu verbergen und mehr
zu scheinen, als er ist, nicht genug aufschneiden kann, nimmt Bürger
die Großmannssucht des verarmenden Adels aufs Korn. Indes ging es
Gottfried August Bürger nicht nur um ein Auslachen, ihn erfreute in
den Schnurren das Spiel mit dem Unmöglichen, das die Menschen schon
seit Jahrtausenden vergnügt - in den Erzählungen am Feuer der
Nomaden und Jäger der Vorzeit wie in der Literatur unserer Tage -
und das sie hoffentlich immer vergnügen wird. Das Unmögliche
wird wahrscheinlich, weil die Naturgesetze und die Vernunft außer
Acht gelassen werden und wir ins Reich der Phantasie auffliegen. Jeder
weiß, daß das, was erzählt wird, nicht wahr, daß
es unmöglich ist, aber keiner fühlt sich dadurch getäuscht,
im Gegenteil, jedermann wird verzaubert oder lacht und freut sich über
die verrückten Ideen. Gottfried August Bürger hat uns ein wunderschönes
deutsches Volksbuch hinterlassen.
Wir haben aus den vielen Geschichten
ein paar der schönsten ausgewählt. Darunter einige, die Bürger
hinzugeschrieben hat, so der Entenfang mit Speck, der Ritt auf der
Kanonenkugel, Münchhausens Abenteuer mit den fünf brauchbaren
Subjekten, die Wette zwischen Münchhausen und dem türkischen
Großsultan sowie die Taten der hinteren Hengsthälfte. Unser
Anliegen ist es, denen Vergnügen zu bereiten, die gerne verrückte
Geschichten hören und ihnen Mut zu machen, unmögliche Abenteuer,
Märchen und phantasiereiche Geschichten zu erfinden und zu erzählen,
wenn sie den Zuhörer nur wissen lassen, daß es eine Geschichte
des freien Spiels ihrer Phantasie ist.
Dieter Wardetzky |