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Das wird wohl jedem Freund
der Literatur so gehen: Neben Büchern, die man mag, und solchen, die
einem weniger liegen, gibt es einige, die einem ganz besonders ans Herz
gewachsen sind. Unter den vielen treuen Freunden, dickleibigen Romanen
und schmalen Erzählungsbänden, die ich im Laufe der Jahre sorgsam
um mich versammelt habe, ist auch jene kleine Schar auserwählter Lieblinge,
die es mir angetan haben, und zu ihnen gehören fast alle Bücher
von Erwin Strittmatter.
An ihm ist alles frisch und
gesund, urwüchsig im besten Sinne: seine Denkungsart, seine Lebensweise,
die Themen seiner Bücher, die von ihm gestalteten Helden, sein Humor,
seine Sprache! Und dieser Autor des "Ochsenkutscher", des "Tinko", des
"Wundertäter", des "Pony Pedro", des "Ole Bienkopp", der Stücke
"Katzgraben" und "Die Holländerbraut" ist einer der Unseren, ist ein
sozialistischer deutscher Schriftsteller, literarisch gewachsen und gereift
mit seiner. mit unserer Deutschen Demokratischen Republik. Und obwohl ihm
die Spuren eines harten Lebens ins Gesicht geschrieben stehen, glaubt jeder,
der seine Bücher kennt, an die Jugendlichkeit des Autors, dessen Leben
dennoch schon mehr als ein halbes Jahrhundert zählt.
Eigentlich sollte man überhaupt
nicht versuchen, über Erwin Strittmatter zu schreiben Bei jedem Satz,
den man der Schreibmaschine anvertraut, fällt einem ein, wie stümperhaft
das doch alles ist gegen seine Art zu plaudern! Wie anders klingen doch
die Worte aus seinem Munde, wie herrlich fließen doch bei ihm der
Reichtum des Verstandes und der Reichtum des Herzens hinein in eine wunderschöne,
frische, kräftige Sprache!
Aus seinen Büchern drängen
sich dem Lesen den und dem Hörenden bei der köstlichen Unterhaltung
ebensoviel an Wissen und Erkenntnissen entgegen wie aus vielen Lehrbüchern.
Bei ihm langweilt man sich nie, kann man sich überhaupt nie langweilen,
weil hier immer das Leben in seiner Vielfältigkeit direkt und unmittelbar
gestaltet ist. Bei ihm erscheinen uns Reichtum und Schönheit unserer
Sprache in neuem Glanze, weil wir erleben dürfen, wie sich die Literatursprache
aus der Bildhaftigkeit der Volkssprache nährt. Seine Klugheit und
seine Güte, die gepaart sind mit Strenge sich und anderen gegenüber,
begeistern immer wieder aufs neue. Das Geheimnis der großen Wirksamkeit
seiner Werke liegt aber vor allem in der Lebensunmittelbarkeit alles dessen,
was er schreibt. Und er selbst nimmt diese Lebensunmittelbarkeit auch für
sich sehr ernst: "Ein Schriftsteller kann nicht unausgesetzt schreiben,
diskutieren und Kunst genießen. Er muß die unsichtbaren Schränke,
aus denen er den Rohstoff für seine Arbeit nimmt, mit neuen Erlebnissen
füllen."
Erwin Strittmatter ist Mitglied
der Akademie der Künste der DDR, aber auch Mitglied einer landwirtschaftlichen
Produktionsgenossenschaft. Wahrlich ein Zusammentreffen, wie es vor ihm
wohl noch keines dieser Art gegeben hat, gegeben haben kann, weil sich
gerade darin die ganze Größe unserer gesellschaftlichen Veränderung
widerspiegelt. Und Erwin Strittmatters Werk ist ein Teil dieser Veränderung
- in der Beweisaufnahme und in der Wirkung auf den Leser. Er selbst sagte
einmal darüber: "Es macht mich glücklich, mit meinem Werk dabei
mitzuhelfen, in unserem Lande das Leben vom Kopf auf die Füße
zu stellen."
Aus Erwin Strittmatters "hartbuntem
Leben", wie er es einmal nannte, soll hier nur erwähnt sein, daß
er der Sohn eines Bäckers ist, in einem Niederlausitzer Dorf aufwuchs,
selbst das Bäckerhandwerk erlernte, dann als Kellner, Tierwärter,
Chauffeur und Industriearbeiter tätig war, während des zweiten
Weltkrieges aus der Wehrmacht desertierte und nach 1945 eine Zeit lang
als, Redakteur an einer Tageszeitung arbeitete.
Von seiner frühesten
Kindheit berichtet er im "Pony Pedro" diese Sätze, die hier auch als
ein Zeugnis seiner hervorragenden Charakterisierungskunst stehen: "Ich
bin unter großen Waldwinden, im Sonnengedröhn hoher Sommertage,
im ätzenden Feldfrost und bei verschwenderischen Frühlingen aufgewachsen.
In meinen Kinderkorb guckten Kühe. Meine ersten Anzüge, die Windeln,
waren in die Sprühtröpfchen schnaubender Pferde gehüllt"
Welche große Liebe zur Natur spricht schon aus diesen wenigen Zeilen!
Diese Liebe ist aber einer der Hauptbestandteile seines gesamten Werkes.
Viele Menschen haben durch Erwin Strittmatter ihre Umwelt neu sehen gelernt.
Dies gilt im direkten Sinne für das Verhältnis des Menschen zur
Natur, es gilt im übertragenen Sinne auch und noch viel mehr für
die gesellschaftlichen Verhältnisse.
Sein Nachbar, sein Freund
ist der Bauer, im Leben und im Roman. Und dessen Leben, dessen Kampf um
die Existenz in früherer schwerer Zeit und das Durchsetzen des Neuen,
das sind seine Themen, sein erlebter Stoff.
Vieles in den Büchern
Erwin Strittmatters trägt autobiografische Züge, manche Äußerung
verrät uns einiges über den harten, schweren Weg des Arbeiters
Strittmatter in die Literatur. Aber es mache nie jemand den Fehler, das
Autobiografische hier im Sinne dokumentarischer Treue, im Sinne einer Selbstbeichte
zu sehen. Vielmehr sind die Helden seiner Bücher das Resümee
einer Fülle gebändigten Stoffes, der ihm im Laufe der Zeit aus
Erlebnissen und Erfahrungen zuströmte und ihn zum Bekenntnis zwang.
So sind seine Werke Lehrbücher des Lebens, in denen der Autor mit
unbestechlicher Parteilichkeit Stellung nimmt für das Neue, für
das, was "das Leben vom Kopf auf die Füße stellt".
Es ist kein Zufall, daß
wir für eine Schallplattenaufnahme gerade die bezaubernde Geschichte
vom "Pony Pedro" auswählten. In ihr vereinigen sich alle die geschilderten
Vorzüge der Strittmatterschen Erzählungskunst in hervorragender
Weise.
Was hier wiedergegeben ist
- von der Landsehnsucht des Autors bis zur Hochzeit seines Ponys Pedro
- ist ein Stück Literatur besonderer Art. Man kann es wieder und wieder
hören oder lesen und wird immer aufs neue angesprochen sein von dem
Reichtum der Gedanken und von einem starken Gefühl. Hinter der Lebensweisheit,
die aus allen Zeilen spricht, verbirgt sich ein Mensch mit einem weiten
Herzen, dem das Leben in seiner Vielfalt, seiner Größe, seinem
Reichtum und seiner Schönheit, zum übervollen mitteilenswerten
Erlebnis geworden ist. Die Ausschnitte aus der Geschichte vom "Pony Pedro",
die hier auf Platte festgehalten sind, versuchen dem großen Bogen
des Buches zu folgen, alle wesentlichen Stationen festzuhalten. Sie können
nicht alles von dem offenbaren, was das Buch zu geben hat, aber sie beweisen
auf ihre Art, daß Hören solcher Literatur ein Genuß besonderer
Art ist, der den einfühlsamen Menschen immer wieder in seinen Bann
zieht.
Dietrich Liebscher |