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Über Rolf Ludwig
Rolf Ludwig ist jetzt über
zwanzig Jahre am Theater und gilt noch immer als ein jugendlicher Tausendsassa
des Theaters. Es ist ganz selten, heutzutage. daß ein Schauspieler
von der Bühne her- und ohne Film; obwohl er vielfach gefilmt hat-
diese Popularität erlangt. Bei Ludwig hat das Gründe. Nicht davon
allein, daß er in einer endlosen Serie von Vorstellungen einen berühmt
gewordenen übermutstollen Truffaldino in Goldonis "Diener zweier Herren"
gespielt hat, kommt das her . . .
Herbert Jhering über Rolf
Ludwigs Interpretation des "Truffaldino":
"Er spielt entfesselt und
diszipliniert zugleich. Auch er springt scheinbar hemmungslos über
Tische und Stühle. Alle Einfälle wirken improvisiert. Locker
und leicht jongliert er mit Worten und Gebärden. Aber bewundemswert
wird seine Leistung erst durch die Disziplin, mit der er die scheinbaren
lmprovisationen zusammenhält durch die Dispositionskraft seiner Phantasie,
mit der er' den Sturzbach der Einfälle gliedert und in den Ufern der
Situation hält Ja mehr: alle komödiantische Lust dient nur dazu,
sich selbst und die Wirkung dieser Einfälle auf die Menschen zu beobachten
und aus dieser Beobachtung neue Freude, neue Laune zu ziehen."
. . . Der Schauspieler Rolf
Ludwig begann als Operettenbuffo, als Komiker. Er hat dabei gelernt (zu
Anfang der fünfziger Jahre konnte man ihn im Berliner Metropoltheater
in solchen Rollen noch sehen), daß man sein Publikum zu den Wirkungsabsichten
einer Rolle hin mitzunehmen hat, intellektuelle Vorführungen
nicht ausreichend sind, eine Geschichte und die Erzählung über
eine bestimmte Figur in der Geschichte "an den Mann zu bringen". Wenn Rolf
Ludwig spielt, fühlt man sich als Zuschauer nie durch die berühmte
vierte Wand zum Parkett hin ausgeschlossen. Immer wird einem der Mensch,
der da dargestellt wird, zur Sympathieempfindung oder zu kritisch-komischer
Distanz buchstäblich anvertraut. Am allermeisten erinnerlich ist das
bei seinem Konfliktkommissions-Vorsitzenden Hirsch im "Lorbaß"; eine
seiner Glanzleistungen am Deutschen Theater über Jahr und Tag: Ursprünglich
gab es Sorgen, er sei für diesen abgebrauchten, müden, aber immer
noch kampfwilligen Mann fast im Veteranen Alter zu jung besetzt. Es gab
Vermutungen über die Gefahr, sein Talent- ganze Feuerwerksunternehmungen
zu veranstalten mit komischen Charaktereigenschaften einer Figur- wurde
das Kauzige, ja Bornierte an dem Hirsch überziehen. Was dann zu sehen
war, war ein sehr ruhiger Mann mit der Fähigkeit zur Selbstdistanz.
Mit der Fähigkeit, bei den Überspitzungen, die ihm im Drang der
Geschäfte fortwährend unterlaufen und mit denen er gemäß
dem Gang des Stücks nicht durchkommt, nicht passiv und enttäuscht
auf die Niederlagen zu reagieren, die ihnen folgen, sondern sein Fehlverhalten
in fortlaufend neuen, fast unerschütterten Offensivitäten selber
zu beheben. Und dabei neu in Fehler zu fallen.
Das war für den Zuschauer
betrachtbar gemacht, von daher stellte sich der Dauerzustand leiser Komik
ein, den ganzen Theaterabend durchwärmend, ohne daß Ludwig,
scheinbar, irgendwelche außerordentlichen Mittel eingesetzt hat,
um Blickpunkt des Abends zu
werden.
Dabei sind seine darstellerischen
Mittel außerordentliche. Es fällt auf, daß er alles, was
er macht sehr zart genau und leise macht Sogar der laute, vitale Ausbruch
verläuft noch so!
Zu seiner künstlerischen
Selbständigkeit hat die Rollenfülle, die ihm seinerzeit Fritz
Wisten am Theater am Schiffbauerdamm ermöglichte, Grundlagen gelegt.
Die Besonderheit seiner Kunst hat sich einwickelt nachdem er mit nunmehr
sehr strenger Auswahl seiner Aufgaben ein Schauspieler der Schule Benno
Bessons geworden ist. Diese Anspruchshöhe ("Lorbaß" hat das
auch abt bekommen) erbrachte als erstes die theatralische Sensation seines
gleich in dreifacher Gestalt personifizierten Drachen in Jewgeni Schwarz
gleichnamigem Stück. Alle seine komödiantischen Temperamentsmöglichkeiten
zu mimischem und Körperausdruck waren genommen und zu diesem absichtsvoll
ganz sanft und leise hingesetzten Zerrbild eines Menschenkneblers hochstilisiert.
Und als Kontrast zu der durchorganisierten
Ausdrucksvielfalt dieser Rolle stand eines Tages da der infolge von Dauerarbeitslosigkeit
brutalisierte Flieger Sun in Brechts "Der gute Mensch von Sezuan" - auf
zwei, drei fast programmatisch zu nennende Körperhaltungen reduzierten
einem solche Haltungspostulate ermöglichenden flächigen Bühnenbild.
Ein neuer Rolf Ludwig, radikal enthaltsam gegenüber allen in Jahr
und Tag bewährten Ausdrucksturbulenzen.
Als direkteste Nahtstelle
seiner Existenz zwischen den Extremen so einer (ihm nach den Erfahrungen
mit Besson möglichen) Bändigung und jener Vitalität mit
der sich Rolf Ludwig als Schauspieler jedesmal von seiner eigentlich sehr
ernsten, grüblerischen Wesensart abhebt, ist der Sganarelle, zu sehen
in Molieres "Don Juan", 1968 am Deutschen Theater inszeniert. Bei ihm war
diese muntere Dienertype, kontrapunktisch gegen den erlebnislüsternen
Don Juan gesetzt, eigentlich ein Leidender: leidend an der sozialen Unmöglichkeit,
sich such Lebenslust zu leisten, leidend an den expressiven Unvernünften
seines Herrn, denen er nachfolgen muß, statt sie zu regulieren.
Und es war schön, zu
sehen, wie Ludwig das Am-Leben-Leiden ausgerechnet durch die direktesten
Gegen-Eigenschaften, nämlich Kraft und Einsatzbereitschaft, bezeichnete
und kenntlich machte, Sganarelle (immer auf Änderung hoffend) jede
Zwangssituation, in die ihn sein Geschick bugsiert unverdrossen anging.
Ilse Galfert
Daß Rolf Ludwig seine
Interpreten-Kunst in einem eigenen Rezitations-Abend dem antifaschistischen
Schriftsteller Wolfgang Borchert (1921-1947) widmet, ist gewiß nicht
zufällig. Der Dichter wie der Schauspieler gehören der gleichen
Generation an, deren Charakterbild vom schrecklichen Erlebnis des Krieges
geprägt worden ist.
Rolf Ludwig, wenn er Borchert
spricht, wächst über sich als Komiker und Schauspieler hinaus
und wird zum Verkünder eines streitbaren Humanismus.
Lothar Kusche
Der Artikel von Ilse Galfert
wurde dem vom Henschelverlag herausgegebenen Buch "Schauspieler - Theater
- Film - Fernsehen", Berlin 1974, entnommen.
Titelfoto: Rolf Ludwig als
Drache |