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Liebe Freunde, wir haben für
Euch fünf Geschichten ausgewähit aus dem reichen Schatz der Märchen
und Legenden Jugoslawiens. Ihr wißt, das ist das Land an der adriatischen
Küste, in dem viele Völkerschaften sich zu einem Staat zusammengefunden
haben. Serben und Kroaten, Bosnier und Slowenen, Mazedonier und Montenegriner,
Menschen mit ganz verschiedener Herkunft und Vergangenheit, um gemeinsam
an einer glücklichen Zukunft dieser großen Familie zu wirken.
Vieles Vergangene ist noch in ihnen lebendig, so auch Ihre Märchen
und Legenden, ihre Lieder und Sagen, die sie sich in den Bergen Montenegros,
an der dalmatinischen Küste oder der weiten Ebene des Banat an der
ungarischen und rumänischen Grenze erzählten.
In diesen Märchen leben
die Träume der Menschen, ihre Sehnsüchte, ihre Hoffnungen, ihre
Kämpfe, ihre Klugheit, Ihre List, ihre Liebe für das Gute - ihr
Haß gegen Bosheit und Rechtlosigkeit.
Schwer war das Leben der Menschen
auf dem Balkan in den vergangenen Jahrhunderten. Krieg und Elend, Not und
Zerstörung, Unterdrückung und Ausplünderung waren Alltag
des Volkes. Jahrhunderte hielten die Türken das Land besetzt, versuchten,
seinen Bewohnern Ihre Sitten und Bräuche aufzuzwingen, aber die Völker
bewahrten viele Ihrer eigenen Bräuche und überlisteten die fremden
Herrscher. Und gerade die List, die List der Armen und ihr Witz, ihre Klugheit
ließen sie Kraft finden
gegen die Härte und Not ihrer Tage.
Diese List und die Verspottung
der Türken werdet ihr in den Geschichten finden. Und auch die Poesie
und die Freude am Schönen und Guten, von denen in den Geschichten
erzählt wird. Vor langer Zeit gingen die Geschichten und Lieder von
Mund zu Mund. Sänger und Erzähler wanderten durch das Land und
die Menschen lauschten den Legenden und Gesängen. Erst im vergangenen
Jahrhundert begannen Freunde dieser Volkserzählungen damit, all das
zu sammeln, was an Poesie im Volke lebendig war. Einer von ihnen, der unermüdliche
und geniale herzegowinische Serbe Vuk Stefanovic Karadzic, trug die Lieder
und Märchen zu einer großen Sammlung zusammen. Er lebte lange
in Wien, war befreundet mit Goethe und Jakob Grimm, der gemeinsam mit seinem
Bruder viele deutsche Märchen und Sagen gesammelt hatte. Vuk Stefanovic
Karadzic liebte die Geschichten seiner Heimat. Ihm verdanken wir die Erhaltung
der vielen interessanten und schönen Begebenheiten, die sich das Volk
erzählt hat.
Seinem Fleiß ist zuzuschreiben,
daß wir Vergnügen haben an dem listigen und lustigen Bauernburschen
in unserem ersten Märchen, der die Königstochter arbeiten lehrt,
oder an dem Schelm Ero, der einen Türken gehörig übers Ohr
haut, indem er vorgibt, aus dem Jenseits zu kommen. Dieser Ero ist in Jugoslawien
eine so berühmte Gestalt wie der Eulenspiegel in Deutschland oder
Hodscher Nasreddin in Buchara. Und Ihr werdet in jedem Märchen einen
Freund finden, der mit Geschick und Klugheit seinen Gegner bezwingt oder
Freunden aus einer mißlichen Lage hilft. Der Bauernbursche und Ero,
der junge Königssohn, der gegen das Unrecht kämpft, und der Junge,
der ein Handwerk erlernen will, um der Not zu entrinnen, und die kluge
Mejra aus Sarajevo, die ihren Liebsten vor dem Kadi rettet, indem sie selbst
als Kadi Recht spricht, sie alle werden Euch teilhaben lassen an ihrem
Schicksal, von dem die Märchen und Legenden berichten. Und sie werden
Eure Freunde werden, Freunde aus einem anderen Teil des Kontinentes Europa.
Aus einem Land an der adriatischen Küste aus Jugoslawien.
Eliza Gerner-Strozzi |