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SCHOLA 870 069 Vier Frauen eines Sonntags
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Herr Küßdiehand
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Vier Frauen eines Sonntags
Thomas
Mutter
Frau
Wirtin
Mädchen
Karin
Mann
Bauer
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Thomas Neumann 
Brigitte Lindenberg 
Brigitte Krause 
Carola Braunbock 
Helga Piur 
Heidi Weigelt 
Walter Lendrich 
Fritz Links 
Herr Küßdiehand
Der Junge
Vater
Mutter
Oberle
.
Andreas Kampa
Helmut Müller-Lankow
Ursula Staack
Rudolf Christoph
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Vier Frauen eines Sonntags 
von Joachim Nowotny 
Dramaturg: Jochen Hauser 
Toningenieur: Rosemarie Schumann 
Regie: Theodor Popp 
Erstsendung: 25. 1. 1971
Herr Küßdiehand 
von Jochen Hauser 
Toningenieur: Hans Wirth 
Regie: Joachim Staritz 
Erstsendung: 2. 5. 1975
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COVERTEXT:

Der 1933 geborene Joachim Nowotny hatte als Erzähler und Autor von Kinderbüchern schon einen Namen, als er 1968 nach einer eigenen Erzählung sein erstes Hörspiel ABSTECHER MIT RÜHRUNG schrieb. 1970 folgte VIER FRAUEN EINES SONNTAGS; 1972 KUGLERS BIRKEN (unter dem Titel GALGENBERGSTORY auch als Fernsehspiel gesendet) und 1974 EIN ALTES MODELL.
Nowotny verleugnet auch als Hörspielautor nirgends sein erzählerisches Talent. Seine episodisch aufgebauten Hörspiele, die - wie VIER FRAUEN EINES SONNTAGS - häufig in einzelne "Stationen" gegliedert sind, zeichnen sich durch genaue Menschenbeobachtung, durch soziale und psychologische Vertiefung des Konflikts und durch Humor aus.
VIER FRAUEN EINES SONNTAGS erzählt die Geschichte des Jungarbeiters Thomas, der unter einem quälenden Widerspruch leidet: An den Werktagen arbeitet er wie ein Erwachsener und genießt das Ansehen eines Erwachsenen; an den Sonntagen aber fühlt er sich zurückversetzt in die Rolle des bevormundeten Kindes, dem jeder Schritt vorgeschrieben wird. Gleichaltrige Freunde fehlen in seinem Heimatdorf. In vier Begegnungen schildert Nowotny, wie Thomas versucht, sich als Erwachsener zu behaupten, bis sich ihm die sechzehnjährige Karin als Partnerin - fast wörtlich - in den Weg stellt.
Der Schluß hat etwas vom glücklichen Ausgang im Märchen: Der Held, nachdem er drei Enttäuschungen überstanden hat, wird belohnt, und siehe, er trifft auf einen Menschen, der augenscheinlich ebenso in Not ist wie er.
Das alles ereignet sich ohne lautstarke dramatische Zusammenstöße. Joachim Nowotny zeichnet ein sehr differenziertes Porträt des jungen Arbeiters, der auf der Schwelle zwischen Kindheit und Erwachsensein steht, großsprecherisch und sensibel, uneinig mit sich selbst, dabei selbstbewußt und sehr empfindlich, wenn er sich zurückgesetzt fühlt. Nowotny verfolgt, wie der stumm-verbissene Thomas zunächst in Selbstgespräche flüchtet, die ihn vor sich selbst bestätigen sollen, dann aber in dem Maße aus seiner Ich-Bezogenheit heraustritt, wie er Gesprächspartner findet, die ihn ernst nehmen. Thomas ist kein "schwieriger Fall". Seine Auseinandersetzungen - mit der Mutter, mit der Wirtin - sind ganz normaler, alltäglicher Art. Es fehlt ihnen jede Zuspitzung. Deutlich aber wird, daß der Junge unter seiner Unproduktivität und der sonntäglichen Langeweile leidet, menschliche Verbindungen sucht und ernstgenommen sein will. In seinen Gedanken
monologen reflektiert er vieles von dem, was sein Leben ausmacht, und es ist auffällig, daß das Gernegroß-Gebaren von ihm abfällt, sobald er an seine Arbeit denkt: Hier fühlt er sich bestätigt!
Durch den Wechsel zwischen Monolog und Szene erhält das Stück eine doppelte Perspektive. Die Hörer erfahren, was Thomas denkt und fühlt; sie erleben aber auch, wie er sich in der jeweiligen Situation verhält So entdeckt sich der Widerspruch zwischen Thomas' Gedanken über die Frauen und seinem Auftreten in den einzelnen Begegnungen. Wir lernen Thomas aber auch während des szenischen Geschehens im Gespräch mit dem Mann am See kennen und stellen fest, daß der Junge durchaus kein Maulheld ist, der nur im Gespräch mit sich selbst Mut beweist - Das Ineinander dieser beiden Ebenen, der Wechsel zwischen der subjektiven Erzählweise einer Figur und der objektiven Erzählweise des Autors, schließlich die Verschiebung des Schwergewichts im Verlauf des Stückes machen das Werk zu einem unverwechselbaren Hörspiel.
Nowotnys Hörspiel steht in einer nun schon fünfzigjährigen Tradition. Mitte der zwanziger Jahre wurden die ersten Hörspiele in Deutschland produziert, und in den folgenden Jahren erprobte eine große Zahl meist junger Schriftsteller das Medium Rundfunk im Hinblick auf seine künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten. Friedrich Wolf (KRASSIN RETTET ITALIA und JOHN D. EROBERT DIE WELT, Bertolt Brecht (OZEANFLUG), aber auch Lion Feuchtwanger, Erich Kästner, Johannes R. Becher (mit dem nicht erhaltenen Hörspiel DIE TRAGÖDIE DES WILLIAM FOX), Alfred Döblin, Wolfgang Weyrauch und Georg W. Pijet traten mit Hörspielen an die Öffentlichkeit. Das Hörspiel - so sagte Alfred Döblin 1929 auf der Kasseler Arbeitstagung "Dichtung und Rundfunk" - ermöglicht dem Schriftsteller eine unmittelbare Verbindung zu einem großen Kreis von Menschen, und es löst die schriftstellerische Arbeit aus der jahrhundertealten Verschriftung, indem es den "Sprachsteller" verlangt Es besteht kein Zweifel daran, daß die Möglichkeit, zu den Menschen zu s p r e c h e n, bis heute großen Reiz ausübt und Autoren wie Joachim Nowotny immer wieder für das Hörspiel gewinnt. - Nach dem hoffnungsvollen Beginn der Funkdramatik gingen ab 1933 nahezu alle ihre Autoren ins Exil, wo ihnen - in einer fremdsprachigen Umwelt - kaum Möglichkeiten zur Arbeit mit den Radiostationen gegeben waren. Diese Zusammenarbeit - das ist die zweite Besonderheit des Hörspielschreibers gegenüber der Arbeit für einen Verlag - ist unersetzlich. Der Hörspielautor ist durch den Dramaturgen und den Regisseur direkt mit dem Rundfunk verbunden; er muß die Eigenart des technischen Mediums beim Schreiben berücksichtigen und immer neu erproben. Auch das ist weiterhin gültig geblieben. Die zwei bedeutenden Ausnahmen, daß Hörspiele deutscher Autoren in jener Zeit von ausländischen Stationen produziert wurden, sind Brechts DAS VERHÖR DES LUKULLUS (Beromünster 1940) und zuvor Anna Seghers' PROZESS DER JEANNE D'ARC ZU ROUEN 1 431 (Antwerpen 1 937). - Nach 1 945 wandten sich die aus dem Exil heimgekehrten Schriftsteller auch der Neu- und Weiterentwicklung auf dem Gebiet des Hörspiels zu, so Rudolf Leonhard, Maximilian Scheer, Berta Waterstradt und Hedda Zinner. Seit 1950 erscheinen immer wieder zwei Hörspielautoren in unserem Programm, die dessen Entwicklung inzwischen entscheidend mitbestimmt haben: Gerhard Rentzsch und Günther Rücker. Beide haben großen Anteil daran, daß das Hörspiel zu einem wichtigen Teil der sozialistischen Dramatik in unserer Republik geworden ist. Zu den herausragenden Werken am Anfang der fünfziger Jahre zählen Schweikerts HERHÖREN, HIER SPRICHT HACKENBERGER (siehe LITERA 8 60 1 43) sowie GENESUNG von Karl Georg Egel und Paul Wiens. In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre wurden die ersten Hörspiele von Rolf Schneider, Bernhard Seeger, Heiner und Inge Müller, Peter Hacks und Helmut Sakowski gesendet. Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann debütierten 1960 mit SIEBEN SCHEFFEL SALZ und EIN MANN STEHT VOR DER TÜR. - Die Entwicklung des Hörspiels in der DDR erreichte damals ihren ersten Höhepunkt. Genannt seien als weitere Beispiele Rentzschs ALTWEIBERSOMMER und NACHTZUG, Seegers RAUHREIF (siehe Schultonband MB-A 462) sowie Rückers Funkmonologe DER PLATZ AM FENSTER und DER PLATZ AM FENSTER GEGENÜBER. - Die sechziger Jahre bedeuteten für den Rundfunk angesichts der wachsenden Rolle des Fernsehens im gesellschaftlichen Leben eine Zeit der Überprüfung bisher unbestrittener Positionen. Das äußerte sich unter anderem im zeitweiligen Rückgang des Anteils von Originalhörspielen am Sendeprogramm. Seit dem Ende der sechziger Jahre wendet sich jedoch erneut eine stetig wachsende Zahl von Autoren dem Hörspiel zu. Die Möglichkeiten der Kunstform werden weiterhin erschlossen, neue künstlerische und technische Möglichkeiten - wie die der Stereofonie - werden erprobt, neue Stoffgebiete erobert. Nachfolgend versuchen wir, mit wenigen Beispielen die Vielfalt der Weiterentwicklung zu kennzeichnen: MARTIN KESSLER von Günter Wünsche, FISCH ZU VIERT und FRAGEN AN EIN FOTO von Wolfgang Kohlhaase, SCARDANELLI von Stefan Hermlin, DER ABITURMANN und UNSER STILLER MANN von Arne Leonhardt, Dürer-Hörspiel MIT DER ZEIT EIN FEUER und Heine-Hörspiel EHRENHÄNDEL von Günter Kunert, DIE LETZTE SEITE IM TAGEBUCH von Gisela Steineckert, DIE NACHT MIT MEHLHOSE von Uwe Kant, EIN DORF AUF DIESER ERDE und RANDBEWOHNER von Joachim Walther. Um zumindest die Reihe der Autoren noch etwas fortzusetzen, nennen wir Karl-Heinz Jakobs, Werner Gawade, Lothar Kleine Hans-Jürgen Bloch und Helfried Schreiter. Jährlich entstehen 30 - 50 Hörspiele, außerdem Funkbearbeitungen von epischen Werken und Theaterstücken. Der Themenkreis reicht von der Auseinandersetzung mit aktuellen Fragen (Helmut Richter SCHORNSTEINBAUER Wolfgang Müller DIE SPUR DES HELFRIED PAPPELMANN) bis zu historisch-biographischen Werken (wie beispielsweise Siegfried Pfaffs Hörspiel über Wilhelm Pieck TRITT VOR DIE KLASSE, WILHELM) und zu Kriminalhörspielen. Der Ensemblecharakter aller dieser Hörspiele ist auffällig: Sie bilden - bei der unbestrittenen Eigenart jedes Autors und jedes Werkes - ein Ganzes in ihrer Orientierung auf die sozialistische Gegenwart und in ihrem parteilich entschiedenen Einsatz für die Hauptfragen unserer Epoche.
In diesem Ensemble sehr unterschiedlicher schriftstellerischer Leistungen gehört Nowotnys Hörspiel VIER FRAUEN EINES SONNTAGS zu jenen Werken, die sich vorzugsweise an junge Hörer wenden, ohne daß durch diese Kennzeichnung irgendetwas einschränkend etikettiert wäre. Dazu gehören aber auch Kurzhörspiele wie Jochen Hausers liebenswerte Geschichte vom HERRN KÜSSDIEHAND, die im Rahmen der Reihe "Begegnung mit Freunden" zum 30. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus entstanden ist. Auffallendes Merkmal dieses Hörspiels (und anderer Beiträge) ist die Darstellung unseres sozialistischen Alltags: Auf heitere, aber durchaus nicht oberflächliche Weise kommen Tugenden und Untugenden zur Sprache, denen wir tagtäglich begegnen können. Es geht um die p r a k t i s c h e Bewährung dessen, was wir uns vorgenommen haben: Freundschaft, Menschlichkeit, Mitarbeit jedes einzelnen Bürgers. Durch die Wahl des kindlichen Erzählers (der ein Bruder des braven Schülers Ottokar sein könnte), durch die Einbeziehung ungarischer Musik und durch glänzende Darsteller gewinnt das kleine Werk großen Reiz. Es ist ein schönes Beispiel für jene humorvoll unterhaltende Literatur, die Spaß bereitet, ohne auf Aktualität und Nachdenklichkeit zu verzichten. '
Dr. Peter Gugisch