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Warum der Mond keine Kleider
hat - das ist, ohne Schummeln, eine komplizierte Geschichte. Auch die andern
Begebenheiten, die Ihr gleich hören werdet, haben ihr Geheimnis. Und
hinter den Ohren dick den Spaß.
Der Mond hoch oben und der
Regen hier unten, die Sache mit dem ganz ganz kleinen Hund und mit der
Schachtel, lackiert und rund die Geschichte mit der Seifenblase oder die
vom klugen Mäuschen (vom dummen auch) oder der Streit zwischen Komma
und Fragezeichen: so manches literarische Bubenstück hab ich ausgesucht
aus den vielen lustigen Büchern eines großen Dichters für
Kinder. Er ist so berühmt, da8 man Briefe an ihn aus aller Welt einfach
adressierte an "Marschak, Moskau". Das genügte. Ihr wißt, so
berühmt wird man nur, wenn man das, was man tut, so gut macht wie
ein ganz großer Könner.
Marschak also, Samuil Marschak
heißt der Mann, der die Geschichten geschrieben hat, von denen Ihr
einige auf dieser Schallplatte findet. Geschrieben für Kinder und
für die Erwachsenen. Aber kein Lirum-larum-Löffelstiel. Er schrieb
von dem, was es alles gibt auf der Welt zum Staunen und Denken. Ein Kinderbuch,
ein Kinderlied mußte für ihn immer eine "Entdeckung der Wett"
sein, der großen und der kleinen, und das Wissen um die Erde und
die Menschen erweitern. Sonst taugt es nichts. Er war so wißbegierig
und neugierig, wie man sein muß, will man dahinter kommen, wie man
sich aus vollem Herzen seines Lebens freut. Marschak, ein sowjetischer
Schriftsteller also und geboren in Woronesch, einem Großen Bildungs-
und Industriezentrum, lebte die meiste Zeit seines Lebens in Moskau. Er
hatte vor dem ersten Weltkrieg durch die Hilfe von Maxim Gorki in London
studiert und sich auch sonst in der Welt umgetan. Er war, wie er von sich
selbst sagte, zeitlebens ein Schüler, so, wie jeder wirklich große
Mensch mit dem Lernen nie zu Erde kommt Dieser äußerst gelehrte
Mann wurde dann auch einer von Gorkis gelehrigsten Schülern. Sein
literarischer Ruhm reicht über Jahrzehnte. Er sah sich selbst als
eine Art Mitschüler des Großen Dichters Majakowski und meinte
damit vor allem, daß sich im donnernden Strom der Oktoberrevolution
sein Wesen und Talent geformt hat.
Mit seinen Dichtungen erzog
Marshak ganze Generationen schon in den Kinderschuhen zum "witzspitzen
Haß" auf alles Unmenschliche. Er war einer der gebildetsten Menschen,
dem ich je begegnet bin. Vielleicht konnte er, eben weil er ein so reiches
Wissen hatte, so viele vergnügliche Sachen schreiben, denen man gar
nicht anmerkt, wieviel man dabei lernt.
Ich hatte das Glück ihn
gut gekannt zu haben. Wir saßen während vieler sommerlicher
Arbeitswochen im schönen Jalta im Schriftstellerheim fast täglich
beisammen. Er sprach ein wunderbares Deutsch, geschult an Heinrich Heine.
Wißt Ihr, so eins, daß man sein eigenes Deutsch - ehe man sich
mit Marschak unterhielt - immer erst ein bißchen waschen mußte.
Russisch, seine Muttersprache, liebte er über alles und übertrug
deshalb ins Russische die schönsten Dichtungen vieler anderer Völker,
vor allem aus dem Englischen. Er liebte die Volksmärchen und die Kinderlieder,
ihrer klaren, klingenden Sprache wegen. Und er selbst besaß die Kunst,
wie mit einer hellen Lampe hinter den Sinn des Wortes zu leuchten, um dessen
kluge Naivität zu erfassen und anzuwenden. Marschak selbst steckte
immer voll origineller Einfälle und Schnurrpfeifereien. Übrigens
hatte er - stellt Euch das vor! - alle seine Examina in Schule und Universität
mit "Ausgezeichnet" bestanden. Und zu dichten hatte er begonnen, noch ehe
er schreiben lernte. So einer war das. Er hatte sozusagen im kleinen Finger
mehr als mancher in der ganzen Faust.
Das Schreiben von Kinderbüchern
betrachtete er als eine ganz besondere Kunst. Für Kinder kann man
nie gut genug schreiben, sagte er immer. Und was man so sehr an ihm lieben
Muß: niemals ist er zeigefingerig.
Mit Gorki zusammen gründete
er den ersten sowjetischen Kinderbuchverlag (Detgis) und überwachte
jede neue Kinderbuchausgabe mit großer Sorgfalt.
Vorstellen müßt
Ihr ihn euch so: eine breite, schwere, männliche Gestalt. Er trug
eine dicke große Brille, hinter denen forschende und sehr gütige
Augen saßen. Ohne Telefon und ohne sein Palech-Kästchen mit
Zigaretten war er ganz undenkbar. Sein Schreibtisch glich einem Hochgebirge.
Und sein Fleiß war unvorstellbar. Neben seinem Arbeitstisch stand,
wie absichtlich, immer nur ein einziger Stuhl. Er hatte es gern, mit einem
Menschen allein zu sprechen, um ihm die ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen.
Wo er Talent und Fleiß vorfand, zog er bewundernd seinen Hut. Auf
Pfuscher und Stümper aber ließ er ohne Hemmung seinen Zorn niederprasseln.
Hatte er selbst ein neues Gedicht oder Theaterstück geschrieben, war
er gleichermaßen kritisch. Er las es voll Schwung und Feuer sofort
telefonisch seinen Freunden vor, um rasch herauszufinden, was es taugt.
Alles, was er machte, schien
ihm grundsätzlich verbesserungswürdig. Ihr könnt Euch vorstellen,
wie die Drucker da manches Mal geschwitzt haben, wenn er immer und immer
wieder von neuem korrigierte. Er sprach dann mit einer energischen, lebhaften,
beinahe zupackenden Stimme. Und konnte natürlich auch herrlich vorlesen.
Als er im Jahre 1964 "den
Löffel weglegte", hatten die Kinder in aller Welt einen ihrer liebenswertesten
Dichter verloren.
Doch auch zur Musik, die Ihr
gleich hören werdet, muß ich noch ein Wörtchen sagen. Die
hat der Weimarer Komponist Joachim Thurm zu Marschaks schöner Textvorlage
gemacht. Er setzte sie mit Pfiff und Format und ohne Fisimatenten in den
rechten, dem Dichter angemessenen Ton.
Neben vielen Kompositionen
für Klavier und Kammerorchester, neben Musiken für so manches
Schauspiel, für Film und Fernsehen, für Jugendorchester und Jugendchöre,
hat Joachim Thurm auch viele gute Lieder geschrieben. Eines der allerschönsten,
das in den letzten Jahren entstand, ist sein "Morgenlied". Ihr werdet mir
recht geben, wenn Ihr es singt.
Joachim Thurms Musik zu Marschaks
Dichtungen verrät die Fähigkeit, den musikalischen Gedanken ebenso
knapp und geistreich zu fassen wie Marschak das Wort. Keckheit und musikalischen
Spaß, Mäusemarsch und Mäusetänzchen, Abzählliedchen
und Katzenmusik und gar Schreibmaschine, vierhändig gespielt, läßt
er mit zarten oder starken Instrumenten vortragen oder mit allen zusammen
bis zur dicken Tuba Ihr werdet sie alle einzeln wiedererkennen.
Joachim Thurm hat tüchtig
an der Franz-Liszt-Musikhochschule in Weimar studiert, ehe er eine so phantasievolle
und geistreiche Musik machen konnte.
Gespielt hat's dann eine Kammermusikgruppe
des Berliner Sinfonie-Orchesters, und der Dirigent Günther Herbig
hat furchtbar streng und freundlich aufgepaßt, daß alle Musiker
so gut und fein spielen wie fürs schönste Festkonzert. Setzt
Euch hin, rückt näher ran! Die Geschichte fängt gleich an.
Ingeburg Kretzschmar |