COVERTEXT (altes Cover)
Auf dieser Schallplatte, die
ihr jetzt in der Hand haltet, sind wieder zwei Märchen des deutschen
Dichters Hauff. Wer das war, das habt ihr ja schon auf der Plattentasche
nachlesen können, in der die Schallplatte mit der Geschichte vom kleinen
Muck und dem Märchen vom Kalif Storch steckte. Ihr wißt also
schon, daß Wilhelm Hauff viele schöne Märchen geschrieben
hat.
Und zu ihnen gehören
eben auch das Märchen vom falschen Prinzen und das vom Zwerg Nase.
Wenn ihr sie euch angehört habt, dann überlegt mal, was euch
der Dichter durch sie sagt.
Ja, ihr habt recht: Es kommt
nicht darauf an, sagt er, wie einer aussieht; ob er hübsch oder nicht
hübsch ist, oder ob er prachtvoll oder ärmlich gekleidet ist.
Man darf einen Menschen nur nach seinem Verhalten gegenüber seinen
Mitmenschen und nach dem beurteilen, was er kann, wie gut er lernt und
arbeitet. Labakan ist ein geschickter Schneider. Er hat lange und viel
lernen müssen, um es zu werden. Und ein geschickter Schneider bleibt
er auch, als er das Sultansgewand anzieht. Labakan kann nicht reiten, fechten
oder Lanzen werfen, und Prinz Omar kann keinen Kaftan nähen. Wenn
man einen weißen Kittel anzieht, dann ist man eben noch kein Arzt
und wenn man eine Lederkombination trägt kein Pilot. Wenn man sich
auf eine Bühne stellt und singt, ist man noch kein Sänger und
wenn man Worte reimt kein Schriftsteller. Alles will gelernt sein, und
jeder ist dort an seinem Platz, wo er am meisten zu leisten vermag. Wenn
Labakan bei uns lebte und kein Schneider mehr sein möchte, nun, dann
müßte er eben zu dem, was er bereits gelernt hat, eine ganze
Menge dazulernen. Und was glaubt ihr, was aus Labakan heute alles werden
könnte?
G. |
Covertext (Neues Cover)
Immer schon erzählten
die Menschen Märchen, jene wundersamen Geschichten, in denen Wünsche,
Träume, Sehnsüchte des Volkes wahr werden. Meist waren es die
Großmütter, die ihren Enkeln solche Geschichten erzählten,
über Helden zu berichten wußten, die phantastische Schwierigkeiten
zu überwinden hatten und kämpfen mußten gegen Grausamkeit,
Ungerechtigkeit und Menschenverachtung. In der ganzen Welt gibt es seit
vielen Jahrhunderten wahre und vielleicht weniger wahre Berichte über
große Abenteuer, die manchmal noch von sehr jungen Leuten erlebt
wurden und die halfen, das Leben besser kennenzulernen und zu meistern.
Auch heute noch gibt es Märchen,
und natürlich gibt es auch noch die Großmütter, die sie
ihren Enkeln erzählen. Helfen können ihnen dabei inzwischen viele
moderne Erfindungen. Eine von ihnen ist die Schallplatte, die gemeinsam
von der ganzen Familie gehört werden kann. Da erzählen dann Schauspieler
über
die Erlebnisse der Märchenhelden,
und ganz sicher bereitet das den Großeltern, den Eltern und den Kindern
gleichermaßen Vergnügen. Damit es dazu kommen konnte, mußten
die erzählten Märchen aber irgendwann auch aufgeschrieben werden.
Oder es mußten neue erfunden werden.
Der deutsche Dichter Wilhelm
Hauff, der vor fast zweihundert Jahren lebte, dachte sich Geschichten aus,
schrieb sie auf, und nun kann sie jeder lesen, nachspielen, hören
und - natürlich - weitererzählen. "Zwerg Nase" und "Der falsche
Prinz" sind zum Beispiel neben "Der kleine Muck" und "Das kalte Herz" Märchen,
die Wilhelm Hauff zu Beginn des 19. Jahrhunderts für viele Menschen
seiner Zeit erdacht und aufgeschrieben hat. Sie fanden großes Interesse
damals, wurden weit über ihre Zeit und über die Landesgrenzen
hinaus bekannt, und bis heute gilt Wilhelm Hauff als einer der bedeutendsten
deutschen Märchendichter. Seine Werke werden verfilmt, es entstehen
Theaterstücke nach ihnen, Hörspiele und Schallplatten.
Mit dieser Schallplatte stellen
wir "Zwerg Nase" und "Der falsche Prinz" vor.
Hinter dem Namen Zwerg Nase
verbirgt sich eigentlich kein wirklicher Zwerg, den es im Märchen
natürlich auch geben kann, sondern Jakob, ein ganz normaler Junge,
dem ein sehr merkwürdiges Abenteuer begegnet. Eine alte Kräuterfrau
verzaubert ihn in ein kleines Eichhörnchen, weil er sie wegen ihrer
langen Nase verspottet hat. Sie bestraft ihn jedoch nicht nur, sie tut
noch etwas für ihn sehr wichtiges: Sie bringt ihm die große
Kunst des Kochens bei, so daß er sich - wieder in menschlicher Gestalt
- nützlich machen kann. Aber seine neue menschliche Gestalt macht
ihm arg zu schaffen: Er ist ein Zwerg mit einer sehr langen Nase geworden.
Vieles muß Jakob noch erleben, vieles muß er lernen, bevor
er wieder so aussieht, wie der ganz normale junge Mann, der er einst gewesen
ist. Doch selbst wenn sein Äußeres wieder so wie früher
wird - er ist lange nicht mehr der alte. Die Begegnung mit Menschen und
Tieren, vor allem die Begegnung mit einem in eine wunderschöne weiße
Gans verzauberten Mädchen, hilft ihm zu erkennen, daß nicht
das Aussehen eines Menschen entscheidend ist und daß man nicht nur
an sich denken darf, sondern eben an andere Menschen gleichermaßen.
Das wird ihm Glück bringen. Nicht die dem Märchen eigenen Wunder
verändern ihn, nein, das schafft er allein in der Begegnung mit anderen.
Obgleich auch in diesem Märchen Wunder wichtig sind, ersetzen sie
nicht die Kraft der Liebe zum Mitmenschen.
Eine besondere Bedeutung haben
in vielen Märchen die Träume der Menschen, so auch in dem Märchen
"Der falsche Prinz". Der Schneider Labakan träumt von einem Leben
in Glanz und Reichtum; er beherrscht das Schneiderhandwerk sehr gut, aber
ihm gefällt sein Dasein
nicht, und darum träumt er oft. Sehr oft . . .
Eines Tages zieht er ein von
ihm selbst genähtes kaiserliches Gewand an und reitet zum Sultan von
Kairo, um sich als dessen verschollenen Sohn auszugeben. Bald erscheint
jedoch Omar, der wirkliche Sohn des Sultans, und Labakan wird begreifen
müssen, daß die Lüge nicht der richtige Weg zum Glücklichsein
ist, daß zum Schluß die Gerechtigkeit siegt und daß man
sich für die Menschen als nützlich erweisen muß, will man
selbst in Glück und Reichtum leben. Künftig wird er sicher danach
handeln; trotzdem wird er ganz bestimmt das Träumen nicht aufgeben,
denn Träume sind etwas sehr Schönes und können nützlich
sein, vielleicht manchmal auch nur, um eigene Fehler zu entdecken.
In beiden Märchen, die
auf dieser Schallplatte zu hören sind, werden Hoffnungen und Lebensweisheiten
des einfachen Volkes ausgedrückt. Und wie in allen Märchen wird
schließlich das Gute belohnt, und das Schlechte wird bestraft. Freilich
sieht in Wilhelm Hauffs Geschichten die Bestrafung oft ein wenig anders
aus, als wir sie in vielen anderen bekannten deutschen Märchen erleben.
Hier, bei Hauff, erfolgt die Bestrafung, um aus Schlechtem etwas Besseres,
etwas Gutes werden zu lassen. Die Gewißheit, daß Fehler im
eigenen Handeln wieder gutzumachen sind, wenn sie nur erkannt werden, zeigt
sich sowohl bei Jakob, der vorübergehend als Zwerg Nase durch die
Welt laufen mußte, als auch bei Labakan, dem falschen Prinzen.
Die Zauberei, die es dabei
gibt, weist nur darauf hin: Im Märchen ist alles möglich.
G. K. |