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Um zwei Dinge geht es in dieser
Geschichte vor allem: um Geld und um Glück. Und darum, wie beide miteinander
zusammenhängen.
Wem fallen da nicht gleich
Sprichworte ein?
"Geld allein macht nicht glücklich",
sagen die einen. "Aber es beruhigt ungemein!", halten die anderen entgegen.
"Glück und Glas, wie leicht bricht das!", erklären jene skeptisch:
aber: "Jeder ist seines Glückes Schmied!", widersprechen optimistisch
diese. Wir sagen von einem Menschen, er sei ein Glückspilz, wenn ihm
etwas besonders Gutes und Schönes sozusagen von allein in den Schoß
fällt, ein Lottogewinn zum Beispiel aber wir bezeichnen ihn noch nicht
als einen glücklichen Menschen, nur, weil er über Nacht reich
geworden ist.
Jeder möchte glücklich
sein und glücklich werden, aber ein jeder stellt sich unter Glück
etwas anderes vor: es gibt so viele verschiedene Arten von Glück,
wie es Menschen gibt. Andererseits haben diese vielen unterschiedlichen
Arten von Glück sicher auch etwas Gemeinsames. Es ist bestimmt für
alle Menschen ein Glück, im Frieden leben zu können; es gibt
immer noch sehr viele Kinder auf der Erde, für die es ein Glück
wäre, wenn sie sich einmal richtig satt essen könnten. Jede Frau
ist glücklich, wenn sie ein gesundes Kind zur Welt bringt. Und für
manche Menschen ist Glück eben auch ein Reimwort auf Geld. Auf viel
Geld.
Ein solcher Mensch ist Fortunatus.
Jedenfalls denkt er so in
den ersten Kapiteln des alten Volksbuches, das als Vorlage und Anregung
für unsere Schallplattengeschichte diente. Das Buch heißt nach
seiner Hauptfigur: Die Geschichte von Fortunatus - und damit ist im Titel
schon vom Glück die Rede. Denn Fortunatus ist eigentlich kein richtiger
Name. Der Begriff kommt aus dem Lateinischen und ist abgeleitet vom Namen
der römischen Glücksgöttin Fortuna, die sich die alten Römer
übrigens als eine sehr launische und unberechenbare Dame dachten,
und er bedeutet auf deutsch: der Glückliche.
Das Volksbuch ist alt, wie
gesagt, etwa fünfhundert Jahre alt, es wurde in der zweiten Hälfte
des fünfzehnten Jahrhunderts geschrieben und 1509 zum ersten Male
gedruckt. Seinen Verfasser kennen wir nicht genau; manche meinen, es sei
der Augsburger Chronist Burkhart Zink gewesen. Aber die Klärung dieser
Frage ist für uns vielleicht gar nicht so wichtig; wichtiger ist,
daß dieser Verfasser das Leben in seiner Zeit, daß er ihr Tun
und Treiben, ihr Handeln und Wandeln auf das Genaueste kannte und mit dieser
Fülle an Kenntnis und Erfahrung, an Welterlebnis und Menschenbegegnung
sein Buch so prall und rund machte, daß wir eine bessere Vorlage
und Anregung für unsere Schallplattengeschichte über Geld und
Glück kaum finden konnten.
Und eine Geschichte über
Geld und Glück wollten wir aufnehmen, wir meinten, eine solche Geschichte
würde auch heute vielleicht nicht ganz nutzlos sein.
Dabei ist das Wort "Geschichte"
ja doppeldeutig! Es bezeichnet ein erzähltes Vorkommnis zwischen Menschen
- aber es meint auch den historischen Entwicklungsprozess im Ganzen oder
in seinen einzelnen Teilen. als Geschichte einer Nation etwa oder in einer
bestimmten Entwicklungsepoche. Beide Bedeutungen des Begriffs Geschichte
haben einen gemeinsamen Ursprung: das Tätigkeitswort "geschehen".
Geschichte ist nicht denkbar ohne Tätigkeit; Geschichte ist, was geschehen
ist in der Vergangenheit - und eine Geschichte erzählen heißt,
zu berichten, was geschehen ist zwischen bestimmten Menschen und mit ihnen.
Und von der Geschichte im historischen Sinne wissen wir: sie hat Jahreszahlen
als Wegmarken; sie wird bestimmt von den Kämpfen der Klassen und vorangetrieben
von der Entwicklung der menschlichen Produktivkräfte - aber sie setzt
sich zusammen doch nur aus Geschichten, aus Menschengeschichten.
Und so erzählt auch die
Volksbuch-Geschichte von Fortunatus nicht bloß schlechthin etwas
über Geld und Glück, was uns, zugegebenermaßen, auch heute
noch bewegt und beschäftigt - sie erzählt dies alles, indem sie
gleichzeitig ein Stück Geschichte erzählt: Wie ist das also mit
Geld und Glück und wie verhielt es sich damals mit beidem?
Damals also, als ein Mann,
der vielleicht Burkhart Zink hieß, die Fortunatus-Geschichte aufschrieb,
damals entdeckten die Menschen merkwürdige Eigenschaften am Geld.
Es vermehrte sich wie von allein, wenn man es nur erst einmal besaß.
Man verborgte es und es warf Zinsen ab. Man kaufte hier Waren - und konnte
sie dort ums Doppelte weiterverkaufen, man mußte nur reisen. Man
legte es an in Landbesitz - und kassierte dann den Ertrag für die
Ernten. Man mietete Arbeitskräfte - was sie produzierten, gehörte
dem Mieter und wurde von ihm verkauft mit Gewinn.
Das Geld trug Profit.
Wenn Geld Profit bringt, nennen
wir's Kapital. Es war kein Wunder, daß damals, als die Fortunatus-Geschichte
entstand, alle Welt Geld, viel Geld besitzen, es anhäufen und umwandeln
wollte in Kapital. Daß jedes Mittel recht war, Kapital zu erlangen.
Nichts anderes bewegt auch
den Fortunatus. Nichts anderes erlebt er. Denn ,.der Glückliche" heißt
er zunächst nur zum Spott. Skrupellos, rauh, mit Ellenbogenstößen
und schließlich mit einer Mordwaffe gar, versucht er ans große
Geld zu gelangen - und erntet doch nichts als Unglück und Armut. Vor'm
Sheriff von London flieht er endlich in den Thüringer Wald, der war
damals ein Urwald, und dort zuguterletzt muß er noch vor einem hungrigen
Bären auf einen Eichbaum fliehn.
An diesem Punkt, an dem für
ihn alles zuende scheint. seine Geld- und Glücksjagd, sogar sein Leben
- an diesem scheinbaren Schallplattenleben.
Mägdelein und Knaben,
faltet
Brav die Händ', die Ohr'n
macht weit,
Auf daß ihr im Sinn
behaltet
Fortunati Herzeleid:
Wie im Eichbaum er gesessen.
Und in böser Not gewesen.
Er erlebt alle die Wunder des
Geldes, die seine Zeitgenossen damals erlebten. Das Geld verwandelt ihn.
Er ist schnell wie ein Pferd, denn er kann zahlen für ein Pferd. Er
wird zum Edelmann, denn er kauft die Kleidung, den Geruch und Schmuck eines
solchen. Er wird geliebt. weil sein Reichtum geliebt wird. Er hat Freunde,
denn er begleicht ihre Schulden. Und er wird betrogen, bedroht und bestohlen
von denen, die auch reich und schnell und geliebt sein wollen. Er muß
sein Geld verteidigen mit dem Messer gegen die, die es mit dem Messer erobern
wollen, so, wie er selbst das einst wollte.
Dies alles wird dem Fortunatus
von der Jungfrau des Glückes beschert. Sechs Gaben bietet sie ihm
zur Wohl - er wählt das Glückssäckel. Es spuckt immer und
überall unendlich viel Geld aus. Dabei hätte die Jungfrau sicher
eine andere Gabe viel Iieber an den Mann ge6racht: die Weisheit. Aber so
sind die Menschen: sie wollen, die Weisheit nicht geschenkt, die wollen
sie schon selber erobern.
Wenig später gar erwirbt
Fortunatus (auf die unlautere Art, mit de man damals vieles erwarb) das
Wunderhütlin und damit die Fähigkeit, über Meere und Kontinente
hinweg jeden Punkt der Erde mit Gedankenschnelle zu erreichen.
Nun könnte er der Glückliche
sein.
Denn indem der Verfasser seinen
Helden mit Säckel und Hütlin beschenkt, schenkt er ihm das, wonach
damals: alle Menschen sich sehnten, wonach ihre Zeit sie sehnsüchtig
machte: unendlicher Reichtum; gefahrlose Handelsreisen über die größte
Entfernung hinweg. Woraus wir sehen, daß die Träume der Menschen
immer mit der Wirklichkeit zu tun haben.
Aber die Träume haben
ein Doppelgesicht - und das haben auch die Zaubermittel des Fortunatus:.
Das Säckel macht ihn nicht nur zum Reichsten in einer Welt, in der
auf Reichtum alles ankommt - es macht ihn gleichzeitig auch unabhängig
vom Gelderwerb, von dem doch alle Welt damals abhing. Das Säckel ist
erträumte Freiheit von Lebenszwängen. Und mit dem Hütlin
verhält sich's ähnlich. Zwar Ist es ein ideales Transportmittel
für profitable Handelsreisen - gleichzeitig befreit es den Manschen
von der Fessel der Schwerkraft, auch einem Lebenszwang und einem sehr grundsätzlichen
und alten!
Und Im Lauf seines wundersamen
Schallplattenlebens entdeckt Fortunatus dieses Doppelgesicht seiner vermeintlichen
Glücksgüter, und er entdeckt e: mit Staunen. Er besitzt Säckel
und Hütlin und erfährt doch Leid, Kummer und Not. Er begibt sich
mit diesem Besitz tiefer hinein in die Zwänge seiner Welt und bekommt
durch sie gleichzeitig die Sehnsucht nach der Freiheit von allen Zwängen.
Denn was es nicht gibt in dieser Welt. das kann er auch mit dem Säckel
nicht kaufen, und mit dem HütIin kann er nur zu den Menschen fliegen,
wie sie nun einmal sind. nicht wie sie sein sollten, Die Welt, wie sie
Ist, machen Säckel und Hütlin ihm untertan - aber sie verändern
sie nicht. Sie machen sie nicht besser, doch so, wie sie ist, ist in ihr
schlecht leben!
So sorgt sich Fortunatus mehr
und mehr um sein Glück.
Mägdelein und Knaben,
zehn
Jahre sind ins Land, seit
wir
Fortunat zuletzt geseh'n.
Er war weit. Jetzt ist er
hier.
Seht sein Schiff und hört
sein Barmen:
Sorge quält den reichen
Armen.
Der Verfasser des Volksbuches
muß von dieser Sorge auch gequält worden sein. Er läßt
seinen Fortunatus schließlich nur noch höchst vorsichtig und
insgeheim von Säckel und HütIin Gebrauch machen und erzählt
dann, wie böse und kläglich des Fortunatus Söhne enden,
weil sie dieser Vorsicht sich nicht befleißigen.
Sich von der Welt zurückzuziehen,
wenn's in ihr Schwierigkeiten gibt, ist jedoch unsere Sache nicht. Deshalb
muß unser Fortunatus das Schicksal der Volksbuch-Söhne selbst
mit bestehen und doch zu einem anderen Ende kommen als sie. Zu einem Ende,
das gleichzeitig ein Anfang ist. Frei. von Erdenschwere und materieller
Not ist unser Fortunatus zu einem geworden, der nun nach dem Glück
fragt und nach ihm sucht. Und der schließlich ahnt, daß er
es nur finden wird in der Art und Weise, wie die Menschen zusammen arbeiten
und zusammen leben.
O ja, sie ist schon höchst
erzählens- und bedenkenswert, diese Geschichte vom Fortunatus. Sie
steckt voller Wunder und voller Wahrheit. Und das eine wie das andere gehört
zum Geschichtenerzählen dazu. Früher konnten Geschichte wie Geschichten
überhaupt nur überliefert werden, indem sie erzählt wurden.
Heut' haben wir dazu unendlich viele Bücher, wir haben Zeitungen,
Fernsehen und Kinos - und erzählen ist fast überflüssig
geworden, wie's scheint.
Wenn da nicht die Schallplatte
wäre. Mit ihr kann man nur eins tun: man kann ihr lauschen. Denn auch
sie kann nur eines:
erzählen, erzählen.
Diese hier erzählt die
Geschichte vom Fortunatus. Und weil sie dabei viel Wahres und viel Wunderbares
erzählen muß, so erzählt sie mit Worten und mit Musik.
Beides gehört hier zusammen, so wie das Wahre allemal auch das Wunderborste
zugleich ist.
So, nun schwatzt und tut nicht
blöde!
Aus ist Fortunatus Geschicht'.
Nur das Unglück macht
Gerede
Und vom Glück erzählt
man nicht.
Mägedlein und Knaben,
drum
Schaut nach Glück euch
selber um!
Andreas Scheinert |